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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
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Gesicht.
    Frankenberg sah die Ordensbänder auf der schmalen Brust und hob langsam seinen Karabiner. Zwei Zentimeter unter den Ordensbändern musste genau das Herz sein. Und dorthin zielte der arme, alte Narr.
    In treuer Pflichterfüllung starb den Tod fürs Vaterland der Polizeiwachtmeister Frankenberg – so ging es dem alten Polizisten durch den verwirrten Sinn.
    Gut gedeckt stand Frankenberg hinter einer Fichte und nun hatte er die Brust des Feindes genau im Visier.
    Da brach der Schuss und schlug klirrend gegen den Turm, surrte als Querschläger zurück in den Stamm eines Baumes. Blitzschnell verschwand der Mann im Innern des Fahrzeugs. Die Panzer blieben stehen, Soldaten sprangen heraus. Sie sahen einen Feind aufrecht zwischen den Bäumen stehen, der seinen Karabiner durchlud und ihn an die Wange legte.
    Da bellte die Maschinenpistole und ohne einen Laut brach General Franko in die Knie, aber erst nach der zweiten Garbe sank sein Kopf mit dem schneeweißen Haar ins Moos.
    Vorbei war es mit den stillen Jahren des Friedens, mit
    den Bienenstöcken und Rosenbeeten. Still und leblos lag der Wachtmeister Frankenberg, genannt General Franko, neben der Straße im Wald, so wie es ihm »sein Gesetz« befohlen hatte.
    Die Panzer aber drehten schleunigst um, denn bei so viel feindlichem Widerstand war es nicht ratsam, in der Dämmerung noch in ein fremdes Dorf einzufahren, auch wenn man dort in einem Fenster eine weiße Fahne sah. Den Deutschen war eben nicht zu trauen.
    Diesem Umstand hatte es Blockstein zu verdanken, dass es an diesem Tag nicht mehr besetzt wurde. Man wusste aber bereits, dass die Amerikaner schon in Kulbinsegg saßen, und Emma erinnerte sich, was sie Anna versprochen hatte. Sie wartete nur noch, bis alles ganz still geworden war im Dorf. Dann schlich sie zum Friedhof und hatte nur Angst, dass bei dem leichten Schneetreiben, das eingesetzt hatte, ihre Lichtsignale nicht bemerkt werden könnten. Sie stieg auf das ziemlich hohe Grabmal des Bäckermeisters Hirner und ließ den Strahl ihrer Taschenlampe in kurzen Abständen immer wieder in das Dunkel der Nacht stoßen, ungeduldig und mit einer fast kindlichen Hingabe, und der Schnee fiel leise in ihr aufgerichtetes Gesicht und auf ihre schmalen Schultern.
    Fast eine ganze Stunde harrte sie aus und das war gut so, denn gerade als Emma dachte, dass es nun genug sein könnte, trat Anna oben aus ihrer Hütte.
    Sie sah den Schnee vor der Hütte und dann glaubte sie, dass ein Spuk sie narre. Sie schloss die Augen und riss sie wieder weit auf. Nein, es war keine Täuschung mehr. Es war da – das verabredete Zeichen war da.
    »Oliver!«, schrie sie in trunkenem Jubel. Alle Angst war wie weggeweht, alles Dunkle der letzten Tage war auf einmal hell und aller Schmerz vergessen.
    Bestürzt kam Oliver sofort aus der Hütte, die Pistole schussbereit in der Hand, weil er sich den Schrei nicht anders deuten konnte, als dass Gefahr bestehe.
    In einer hektischen Ergriffenheit packte Anna ihn am Arm und deutete hinunter. »Siehst du es, Oliver?«
    »Was denn, Anna?«
    »Das Licht vom andern Ufer.«
    Jetzt sah er es auch. Es zuckte noch zweimal auf. Dann blieb es aus.
    »Was hat das zu bedeuten, Anna?«
    »Das heißt, dass du jetzt frei bist, Oliver.«
    Er antwortete nichts darauf. Vielleicht dachte er in diesem Augenblick schon an den Abschied, der ihm schwerer fiel, als Anna es ahnte.
    »Komm, Oliver«, sagte sie.
    »Ich kann nicht glauben, Anna, dass es schon so weit sein soll. Es wäre zu einfach, wenn nur ein Licht in der Nacht aufzublinken braucht, und alle Not hätte ein Ende.«
    »Es kommt doch nach jeder Nacht wieder ein Tag. Komm, Oliver.« Ihr Arm lag um seinen Hals. In ihrer Stimme war ein Drängen, als hätte sie Angst, er könnte jetzt gleich davonlaufen, um nur möglichst schnell wieder bei den Seinen zu sein.
    So gingen die paar Stunden bis zum nächsten Morgen dahin. Draußen sammelte sich immer mehr Schnee, und als die beiden aus der Tür traten, sahen sie, dass das ganze Land weiß war, bis hinüber ans andere Ufer der Riss und weit hinaus in die Ebene im Westen. Es brauchte niemand mehr eine weiße Fahne auszuhängen, denn das Land bot freimütig mit seinem unschuldigen Weiß die Kapitulation an. Mit dem frisch gefallenen Schnee und den Blüten, die frierend die unerwartete Schneedecke auf sich nahmen, denn es war doch bereits der erste Mai.
    Unten in Blockstein öffnete der Unteroffizier Felix Eichlmaier das Tor des Feuerhauses, um die Franzosen

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