Licht vom anderen Ufer
Rauscherin?«
»Ja, Hochwürden, eine letzte, große Bitte. Ich tät leichter sterben, wenn ich die Anna mit einem guten Mann verheiratet wüsste.«
Draußen entstand auf einmal Lärm. Aus dem Waldweg kam ein Bauernfuhrwerk, das der Rauscher Matthias lenkte. Daneben und hinterher gingen ein Dutzend Männer. Auf dem Wagen, dessen Räder unter der schweren Last ächzten, lag die schwere St.-Josefs-Glocke, die sie endlich aus ihrem Versteck geholt hatten.
»Sind sie es schon mit der Glocke?«, fragte die Rauscherin.
»Ja, die Glocke ist es«, antwortete der Geistliche ergriffen und dachte an die Ängste und Nöte, die er damals ausgestanden hatte, als die Glocke plötzlich verschwunden war. Man hatte ihm nicht glauben wollen, dass er davon nichts wusste.
»Jetzt werd ich sie doch noch läuten hören«, sagte die Rauscherin leise.
»Ja, Rauscherin. Morgen zwar noch nicht. Aber übermorgen bestimmt und hoffentlich werden Sie sie noch oft läuten hören.«
Daran glaubte die Rauscherin nicht, die fühlte, dass ihr Ende nahte und nun doch noch eifrig zusammenkramte, was sie an kleinen Sünden begangen zu haben meinte.
Wo in einem Leben so wenig gefehlt worden war, gab es auch kein großes Büßen und der Pfarrer betete gemeinsam mit der Rauscherin die zwei Vaterunser, indessen draußen der Wind nachgelassen hatte und etwas vom zarten Abendrot durch das kleine Fenster hereinfiel und goldene Kringel an die Wand zeichnete.
Und tatsächlich, am übernächsten Tag, so gegen fünf Uhr, läutete die schwere Glocke im Kirchturm von Blockstein. Hatte sie früher schon diesen vollen herrlichen Ton gehabt, oder war es wirklich so, dass nach der langen, dunklen Nacht, in der sie verborgen war, ihr Klang ganz neu aufjubelte – den Menschen, die sie versteckt hatten, und Gott zur Ehre?
Im Goldenen Grund lag die Bäuerin Barbara Rauscher still da und horchte auf das Glockengeläut. An der Seite des Bettes kniete der Rauscher mit einem fassungslosen Schreck in den Augen: »Du wirst mich doch jetzt nicht allein lassen…«
Am Bettende stand Matthias, die Fäuste um das Holz geklammert, und dachte, dass er bald heiraten müsse, falls die Mutter wirklich stürbe. In die Küche muss dann gleich ein neuer Herd, überlegte er, und die Wand darüber muss gefliest werden. Überhaupt muss manches anders werden, wenn die Cilli im Goldenen Grund Bäuerin wird.
Mühsam wendete die Kranke das Gesicht. »Kommt denn die Anna noch nicht bald?«
»Ich hab mittags schon jemanden hinaufgeschickt. Sie muss jeden Augenblick kommen«, log Matthias, denn er hatte niemanden hinaufgeschickt. Was sollte sie hier auch? Gesund konnte sie die Mutter auch nicht mehr machen, aber es würde vielleicht noch allerhand gesprochen, was ihm nicht in den Kram passte.
»Peter, versprich mir, dass die Anna ihren Anteil richtig bekommt, wenn ich einmal nicht mehr bin.«
»Ja, Mutter.«
»Es wär halt gut, wenn das mit dem Staffner Thomas wieder in Ordnung kam.«
»Ja, aber zwingen kann man keinen Menschen«, sagte der Rauscher. Und der Matthias dachte: Das fehlte mir grad noch, dass ich sie nicht losbrächte und sie meinen Lebtag nicht loswerden könnte.
»Wenn sie nur grad käm«, jammerte die Kranke wieder. »Ich möcht ihr halt noch so gern ans Herz legen, dass sie ein bissl auf dich schaut. Der Jüngste bist ja auch nicht mehr, Peter«, sagte sie jetzt zu ihrem Mann.
Er wird schon nicht verhungern müssen, dachte der Matthias gereizt und überlegte, ob er sich eine Zigarette anzünden könnte.
Die Anna kam und kam nicht, und die St.-Josefs-Glocke schüttete ihr Halleluja immer noch übers Land hinaus. Das war das letzte, was die Bäuerin vom Goldenen Grund noch bewusst in sich aufnahm. Wenig später tat sie einen tiefen, langen Atemzug, mit dem sie gleichsam ihr Leben aushauchte aus dem müde gewordenen Leib. Eine gute und feine Seele.
»Barbara«, stöhnte der Rauscher und warf seinen Kopf auf ihre kalt gewordenen Hände. Seine Schultern zuckten. Matthias aber räusperte sich rau und sagte: »Jetzt hat sie es hinter sich, die Mutter.«
Dann ging er auf den Balkon hinaus und zündete sich eine Zigarette an.
Die Tote war noch nicht aus dem Haus, als der Rauscher seinem Sohn sagte, er sei ein Lump.
Matthias war im schwarzen Anzug ganz leidlich anzusehen. Er schaute seinem Vater nicht in die Augen, sein Blick verfing sich mehr in dessen schneeweißen Haaren, die ein wenig borstenartig in die Höhe standen.
»Und warum?«, fragte er.
»Weil du gelogen
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