Licht vom anderen Ufer
»Apostel«-Wirt rauchte gierig und sah dabei die Emma abschätzend an. »Ja, du bist ganz schön mollig geworden. Im Gegensatz zu uns. Die Meinige hat zwanzig Pfund abgenommen in der Zeit. Dir haben die Schwarzen ganz gut angeschlagen, scheint mir.«
Die Emma wurde rot vor Zorn. »Wie meinst du denn das?«
»Na, sie haben ja immer vor deinem Häuschen gesessen.«
»Ja und? Was ist da schon dabei? Irgendwo haben sie ja schließlich sitzen müssen, die armen Teufel.«
»Arme Teufel ist gut. Jeder hat einen Bimser auf wie ein Kürbis und strotzt vor lauter Kraft. Und wie kommen die Unsern heim? Ausgemergelt und halb verhungert.«
»Kann da ich was dafür? Gar nichts kann ich dafür, genauso wenig, wie ich mich dagegen wehren kann, wenn ihr mich schlecht macht.«
»Hab ich dich vielleicht schlecht gemacht?«
»Ich hab mich schon ausgekannt vorhin, wie du so spitzig dahergeredet hast. Ich weiß schon, was man über mich redet. Aber – ob du mir’s glaubst oder nicht, ›Apostel‹-Wirt – mir ist keiner nahe getreten. Wenn ich schon keinen Hiesigen krieg, ein Amerikaner muss es dann schon zweimal nicht sein. Bleib ich halt ledig. Ledig gestorben ist auch nicht verdorben.«
Der »Apostel«-Wirt musste herzlich lachen. »Du redest ja grad daher, als wenn du schon eine alte Schachtel wärst. Wird schon noch einer anbeißen. Gar so übel bist du gar nicht, wenn man dich genau anschaut. Das Mollige steht dir gar nicht schlecht. – Also, wie ist es dann mit der Wäsche?«
»Schick sie rüber. Morgen werd ich dann gleich waschen, und übermorgen könnt ihr alles wieder haben.«
Dabei blieb es dann. Jede Woche schickte die »Apostel«-Wirtin die Wäsche. Beim Doktor taten sie dasselbe und verschiedene andere kamen dazu. Emmas Geschäft florierte und der Hausknecht Alois blieb immer länger bei ihr sitzen, wenn er mit seinem Zweiradkarren die Wäsche abholte. Er war nicht mehr ganz jung und von Schönheit war er auch nicht gerade geplagt. Aber Emma hatte immer noch genügend Zigaretten und es gefiel ihr, wenn er hinten auf der Ofenkiste saß und eine nach der anderen bedächtig rauchte, während sie am Tisch vorn bügelte.
Alois Gröbmaier war erst vor zwei Jahren zum »Apostel«-Wirt gekommen, als er wegen seiner Kriegsverletzung aus der Wehrmacht entlassen worden war. Er zog das rechte Bein ein wenig nach, vor einem Wetterumschwung noch mehr als an sonstigen Tagen. Die Amerikaner hätten ihn wegen seines schneeweißen Fragebogens ohne weiteres auf einen höheren Posten als auf den eines Hausknechtes gehoben. Aber Alois hatte wenig Ehrgeiz und wollte lieber Hausknecht bleiben, obwohl er sich ganz ruhig auch unter manche der neuen Leute hätte mischen können, die jetzt an führender Stelle saßen, obwohl sie das Alphabet nur zur Hälfte beherrschten und am liebsten drei Kreuze gemacht hätten, wenn es ihrer Unterschrift bedurfte. Aber mit den Unterschriften wuchs ihre Bedeutung und mit der Zeit lernten sie, ihren Namenszug mit einem kühnen, hochgestellten Schnörkel und einem langen Strich zu versehen, was sehr gelehrt aussah und den anderen, die noch dümmer waren, Respekt einflößte.
Nein, Alois liebte das beschauliche Leben eines Hausknechts in den »Vier Aposteln«, war so geduldig wie seine drei Vorgänger, bloß nicht so gesprächig. Manchmal saß er eine geschlagene Stunde bei der Emma im Ofenwinkel, ohne mehr zu sprechen als: »Ja, ja, so geht’s, wenn’s gut geht«, und die Emma sagte darauf: »Und gut geht’s immer, gelt?«
Aber manchmal kommen sich menschliche Seelen einander durch Schweigen schneller näher als mit vielem Reden. Die Emma legte ihm einmal ein Kissen auf die Holzkiste, damit er weicher sitze, und fragte ihn, ob er einen Kaffee möchte.
Auch Kaffee hatte sie genügend und Alois fügte seinen lakonischen Worten noch hinzu:
»Ich mein, Emma, du solltest jetzt keine Zigaretten mehr anderweitig verschenken.«
»Wenn du meinst, Alisi? Ich hab aber noch mindestens fünfzehn Stangen.«
»Das ist gut, Emma. Die musst aufheben.«
»Für dich, Alisi?«
»Ich denk schon, sonst sitz ich einmal ganz trocken bei dir da«, antwortete er, schlürfte seinen Kaffee und beschloss dieses »lange Gespräch« mit seinem: »Ja, ja, so geht’s, wenn’s gut geht.«
Dann kam er immer öfter, auch wenn er keine Wäsche zu bringen oder zu holen hatte. Über Kaffee und Zigaretten pirschte er sich langsam und mit der bewundernswerten Trägheit eines Phlegmatikers an Emmas Herz heran und gewann es, weil
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