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Licht

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Meckel
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Hauswand stehen geblieben. Zwischen Bierkisten Reste von Schnee, das Schmelzwasser rinnt über feuchte Erde und versickert im Abfluß. Wir sitzen allein in der Sonne, es ist nicht besonders warm, aber wir haben Mäntel und Mantelkragen, Dole hat ihre schwarzen Handschuhe an; wir haben unsere Sonnenbrillen und ein paar Zeitungen. Die Blechtische sind naß, man will uns hier nicht bedienen, wir bleiben trotzdem an der besonnten Wand. Schließlich erscheint ein alter Kellner, der sich von früher her an uns erinnert. Dole ist zu abwesend, um freundlich zu ihm zu sein.
    Wir bestellen Bauernfrühstück und trinken Wein. Dole hat keinen Hunger, sie möchte vor allem Kaffee. Nach einer Weile hat sie sich etwas erholt, sie zündet eine Zigarette an und betrachtet die Bäume. Der Blick in die Landschaft macht ihre Augen ruhig. Es ist die letzte Wärme in diesem Jahr. Wir sitzen an der Hauswand und lesen in verschiedenen Zeitungen. Hast du etwas Interessantes gefunden? Wir tauschen die Zeitungen und sprechen wenig. Es ist nicht mehr nötig, etwas zu sagen, wir kennen uns und die Wortlosigkeit ist gut. Über diese Ruhe kommen wir nicht hinaus. Auf dem Terrassengeländer sitzt eine Krähe, öffnet die Flügel und fliegt durch die Bäume. Dole blickt von der Zeitung auf, sieht die Krähe und lächelt flüchtig. Es wird ganz wie in diesem Leben sein, dasselbe Zimmer.
    Ich schlage ihr vor, für ein Wochenende mit mir nach Mauviron zu fahren. Sie stimmt sofort zu. Dann fragt sie, ob es sinnvoll ist, die alten Plätze nach Jahren wiederzusehn. Ich will das nicht nachträglich verlieren, sagt sie, ich brauche den Sommer noch, das Licht wie es war, unser herrliches Licht –
    trotzdem fahren wir nach Mauviron.
    Manchmal freuten wir uns auf ein paar Tage allein. Ich war lieber mit Dole als mit anderen Frauen zusammen, aber ich war auch gern in meiner Wohnung allein. Alle paar Wochen entstand der Wunsch, unter allen Umständen ohne den andern zu sein. Wir wollten einfach allein sein und alles andere auf sich beruhen lassen. Jeder in der eigenen Wohnung allein. Wir wollten im Bademantel auf dem Bett liegen, an Radioknöpfen drehn und in Büchern lesen, ohne das Gelesene auszuwerten. Sie wollte ganz gern mal allein zu Abend essen und ich wollte ganz gern mal allein in der Nacht unterwegs sein. Wir waren ganz gern mal mit anderen Leuten zusammen. In der Gewißheit, den andern erreichen zu können, wollten wir ohne Post oder Anruf getrennt sein. Wir wollten uns selbst und unsere Körper vergessen und wir wollten die Namen vergessen, die wir füreinander gefunden hatten. Wir wollten die Gegenwart und die Zukunft lossein, die Tageszeiten, die Liebe und selbst den Herbst, den eigenen Tod und die Stimme des andern, die Möglichkeit der Freude und die Möglichkeit der Verzweiflung, den Beruf, die Routine und den Terminkalender. Wir wollten vergessen, wieviel wir verdienten und wir wollten vergessen, in welchem Land wir lebten. Wir wollten von Zeitung, Radio und Fernsehn, von Menschen und Weltgeschichte nichts erfahren. Wir wollten ohne Frage und Auskunft allein sein, ohne Begründung allein, uneingeschränkt und restlos uns selbst überlassen, nutzlos und überflüssig und unverwertbar, außerhalb aller Zusammenhänge und nicht zu erreichen. Von Resignation und Hoffnung gleichermaßen entfernt. Wir wollten in Träumerei ohne Inhalt verschwinden und der Zeit überlassen bleiben im Hinblick auf nichts. Wir wollten weder Zeit gewinnen noch Zeit verlieren und falls wir überhaupt etwas wollten, dann den Luxus der Willenlosigkeit. Unser Glück an solchen Tagen bestand darin, uns in Ruhe zu lassen und fast vergessen zu können. Wir hatten nach ein paar Mißverständnissen erfahren, daß der Zauber nicht in Gefahr war, wenn wir uns trennten. Nichts voneinander erfahren zu wollen setzte voraus, daß wir genug voneinander wußten. Wir waren uns einig ohne Beteuerung. Wir ließen uns allein und vermißten nichts, und in den meisten Fällen war sie es, die früher anrief, als wir vereinbart hatten. Dann klang ihre Stimme atemlos, als telefoniere sie auf einem Rummelplatz. Sie wollte sofort zu mir in die Wohnung kommen, sich betrachten, anfassen, ausziehn lassen. Nimm ein Taxi und komm in meine Wohnung. Eine Stunde später war sie da.
    Verzweiflung? sagt sie am Telefon, was soll ich damit. Und wenn schon Verzweiflung, das wäre zu wenig. Warum fragst du? Wie kommst du darauf?
    It is a dognight dognight dognight.
    Wir waren am Wochenende in Mauviron.
    Tausend

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