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Licht

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Meckel
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sprechen, sie sagte nichts. Das Picknick am Mittag fiel aus. Wir fuhren auf der Autobahn nach Norden, sie trug ihre Sonnenbrille bis in die Nacht.
    Wasser und Wind – das waren die Tage des Sommers, raumlos, endlos, in maßloser Helligkeit. Weißglut des Südens, durchsonnte Bläue, Glast. Blau oder schwefelgelb überblendete Meerflächen und Horizonte voll Inseln, die sich im Licht der Hundstage verloren. Inseln, zyklopische Erscheinungen im Gegenlicht, Walfischrücken vergleichbar, Gigantenschädeln, Silhouetten des Ararat. Die Schären, die Nordseedeiche und die Cykladen, Landzungen in Wales und die atlantischen Inseln Frankreichs. Dole sagte: ich schwimme ins Meer und hab mich vergessen, glücklich, gewichtlos, nackt, ein Körperjubel – von Schaumkronen geohrfeigt, die Nase auf dem Wasser, der Horizont vor mir hoch über den Augen, erste Etage des Weltraums, und das Wasser kommt in großen Wellen zu mir herunter. Ich liebe das Meer, warum soll ichs nicht sagen, j’adore le vent. Welcher Esel hat behauptet, Gefühle seien Rohstoff und unaussprechbar. Unmöglich zu leben ohne Begeisterung, unmöglich, die eigenen Gefühle runterzuschlucken. Und warum die Angst der Leute vor ihren Gefühlen, die arme, traurig machende oder geizige Reserve gegenüber der eigenen Empfindung – ich verwechsle sie nicht mit Sentimentalität. Bin ich sentimental? Wenn du merkst, daß ich sentimental werde, lach mich aus. Versprich mir, mich auszulachen, ich bin froh, wenn dus tust. Aber die Gefühle – das ist was anderes. Sie sind nicht ehrenrührig oder blamabel, sondern frisch, stark, reich, für mich unanfechtbar, ich lebe mit ihnen, ganz offen, und spreche sie aus. Ich sage sie dir, du kannst das nicht falsch verstehn. Ich bin kein Kofferchinese mit Pokergesicht, ich mache mich nicht ärmer als ich bin.
    Dole liebte den Wind, und das Meer war herrlich. Wir lagen in einem Hotelbett vor Tagbeginn, hörten den Wind, umarmt, mit geschlossenen Augen, und wußten, daß die Freude gemeinsam war. Das Behagen im Wind war kurz und kostbar und einen Moment lang stärker als das Bewußtsein der Zerstörungen, in denen wir lebten, gegenwärtiger und überwältigender als der Verlust von Zukunft, den wir weltweit mit Leuten teilten, die hier Touristen waren und nichts davon wußten oder wissen wollten. Wir zögerten den leichten Moment hinaus, der Westwind strömte durch Laub und Gardinen, wir spürten die kühle Bewegung auf dem Gesicht, zogen die Decke fort und lagen nackt, bis Dole unruhig wurde und unter die Dusche sprang. Nördliche Brise, fließende, flatternde Luft, Windstöße durch geöffnete Läden im Herbst, Ahornschauer, zu Boden gekämmtes Gras, stoßender Bora, dröhnender, reißender Mistral; über den Zimmerboden schleifende Blätter, sie finden sich unter dem Bett und raschelten weiter; Wind in offenen Kleidern und Salz im Haar; Halbschlaf, betäubt und taub, von Wind umschlossen.
    Ich brauche mich nicht zu kämmen, das macht der Wind, sagte Dole, liebst du mich auch, wenn die Haare verwildert sind? Und denkst du noch an das Inselhotel auf dem Cap, die Mühle davor und die hellen Treppen, das Restaurant im Parterre und die Kiesterrasse unter den Pinien. Die Flechtstühle mit den Kinderbeinen und die wachstuchbedeckten, wackligen Tische dort, voller Gläser und Flaschen, und wir tranken Wein in der unbewegten Luft, in der gestauten Hitze, die uns verrückt machte seit Tagen und oft in der Nacht, wenn wir nackt und klebrig von Schweiß auf den Leintüchern lagen, schlaflos im Schwirren der Schnaken (du hattest einen fixen Haß und erschlugst sie mit dem schwersten Buch, La femme de trente ans voll zerquetschter Fliegen). Wir saßen in verschwitzten Bademänteln auf der Terrasse und wußten nicht mehr, was das war: eine kühle Brise, konnten uns keinen Wind mehr vorstellen, und der ist doch mein Element, mein Paradiesgeräusch. Und dann, nach Mitternacht, war er da – Wind, Wind, ein einziger Schlag. Er kam so plötzlich, daß wir uns an den Stühlen festhielten. Er riß an den Haaren, die Kopfhaut schmerzte, er warf das Wachstuch vom Tisch und die halbvollen Gläser, die Käsereste, die Brotscheiben und Tomaten; die Pinien rauschten drauflos und die Stangen der Windmühle knackten und knarrten, das Meer fing an mit seinem Geschaukel und die Spiegelung der Uferlaternen verwackelte in der Brandung. Wir legten Steine auf das Wachstuch und saßen im Wind, unbeschreiblich erleichtert, im schüttelnden Sturm, und der Kellner kam

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