Lichterfest
näherte, schwoll ein Zischen und Schnalzen an, als hätte man den Deckel eines Schlangenkorbs angehoben. Ich hob abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf, doch das schien man als Aufforderung zu verstehen. Energisch drängte ich mich an einer üppigen Dame im stramm sitzenden Latexkostüm vorbei, die mir breitbeinig und lippenleckend den Weg verstellte. Ich fragte mich besorgt, ob sie wohl nach Leistung oder per Kilo Lebendgewicht bezahlt werden wollte.
Unter dem überdachten Eingang des heruntergekommen wirkenden Wohnblocks blieb ich stehen. Es dauerte einen Moment, bis ich den richtigen Namen unter all den fremdländisch anmutenden Aufschriften gefunden hatte. Als ich bei de la Cruz klingeln wollte, wurde die Tür unvermittelt aufgestoßen. Zwei Kinder stürmten mir entgegen, ein dunkelhäutiges Mädchen mit Zöpfen und einem grellen rosafarbenen Kleid, der Junge war etwas jünger und trug einen blau-weiß gestreiften Pullover und Jeans.
Ich nutzte die Gelegenheit und betrat das Treppenhaus. Die Wände waren über und über mit Graffiti besprayt, weitgehend talentfrei, soweit ich das beurteilen konnte, der Boden sah aus, als hätte man groben Kies zusammengebacken. Das Treppengeländer glänzte blutrot und klebrig. Ein rostiges Fahrrad lehnte neben einem zusammengeklappten Kinderwagen an einer Front aus Glasbausteinen, welche die gesamte gegenüberliegende Seite einnahm und den verzerrten Blick freigab auf einen mit Mülltonnen verstellten Innenhof, in dem ein einsamer, anorektisch aussehender Ahorn wuchs.
Etwas unschlüssig sah ich mich um. Das Stimmengewirr war gewaltig, wie an einem turbulenten Tag an der Börse. Die Bewohner standen in Gruppen im Treppenhaus herum und diskutierten, die Hände aufgeregt verwerfend, und untermalten das Ganze mit dramatischer Mimik. Ich erkannte den melodischen Singsang, den ratternden Rhythmus und die scharfen Zischlaute der spanischen Sprache. Deutsch war auf Anhieb nicht zu vernehmen.
Niemand beachtete mich. Erst als ich mich langsam in die Menschenmenge hineinbewegte, wichen diejenigen, die mir am nächsten standen, ein wenig zurück und musterten mich misstrauisch.
Erst jetzt fiel mir auf, dass es sich beinahe nur um Frauen handelte. Ältere Matronen, die schlabbrige Kleidung in Farben trugen, von denen ich nicht einmal geahnt hatte, dass sie in der Textilproduktion verwendet werden durften. In ihren verlebten Gesichtern erkannte ich Fassungslosigkeit, Besorgnis und nicht selten auch Angst. Im Gegensatz dazu trugen die jüngeren eine trotzige Haltung zur Schau und ausnahmslos knallenge, tief sitzende Jeans und T-Shirts in ähnlich stechenden Farbtönen. Überall blitzten Goldketten, Zahnspangen, Gürtelschnallen und Modeschmuck.
Eine burschikos wirkende Latina, die ihre lockigen Haare mit einem grünen Band zusammengebunden hatte, stand mit zwei anderen jungen Frauen auf dem ersten Treppenabsatz und hatte soeben einen wüsten Fluch ausgestoßen.
»Si?« Jetzt lehnte sie sich herausfordernd über das Geländer und reckte das Kinn, während ihre beiden Freundinnen betont ausdruckslos und mit verschränkten Armen auf mich herunterblickten, was mich unangenehm an eine pseudoprovokative deutsche Mädchenband aus den Neunzigern erinnerte.
»De Cruz?«>
»Rosa Maria Perez Martinez de la Cruz?« Einer Maschinengewehrsalve gleich schoss der Name aus ihrem Mund, sodass ich kaum etwas verstand.
Mir blieb nichts anderes übrig, als vage zu nicken. »So ungefähr.«
»Ey, Mann, was ungefähr?« Drohend kam sie ein paar Schritte die Treppe herunter. »Was willst du von ihr?«
Ich setzte gerade dazu an, ihr bildhaft darzulegen, was genau sie das angehe und an welchen Körperteilen dies ihr vorbeizugehen hatte, als mich jemand sanft am Arm berührte.
»Antonia, sei nicht immer so aggressiv.« Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte sich die ältere Frau an mich, während Antonia mich mit drohend zusammengezogenen Augenbrauen fixierte und sich dann verächtlich schnaubend zu ihren Freundinnen zurückzog.
»Sie müssen entschuldigen, hier geht im Moment alles drunter und drüber. Ich bin Maria.« Sie trug ein schwarzes Kostüm, das ebenfalls schwarze Haar hatte sie straff zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten gebunden. Die Augen waren groß und dunkel und beherbergten einen fernen Schmerz, die Lippen waren leuchtend rot geschminkt und ihr Gesicht voller feiner Fältchen, die sie melancholisch lächeln ließen, selbst wenn sie es nicht aktiv tat.
Fragend sah ich
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