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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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sie an.
    Sie seufzte schwer und strich sich müde mit den Finger spitzen über die Augen. »Was soll ich sagen. Es ist das Übliche, wie momentan überall. Es geht das Gerücht, der Wohnblock solle saniert werden, die Apartments werden ausgebaut und modernisiert.« Sie sprach leise und doch sehr deutlich, die Worte entstanden weit vorn in ihrem Mund und schienen ihr von der Zungenspitze zu fallen, wie sie es bei Südamerikanern taten, die Deutsch mit Akzent sprachen.
    »Ihr müsst alle ausziehen?« Ich deutete auf die Frauen, die ringsherum aufgebracht debattierten.
    Maria verzog die Mundwinkel. »Natürlich haben wir die Option, später, nach dem Umbau, wieder zurückzukehren. Nur …« Sie senkte unwillkürlich die Stimme. Ihre Hände zeichneten einen kurzen, aber heftigen Wellengang in die Luft und blieben traurig hängen.
    »Die Mieten werden sprunghaft ansteigen«, beendete ich ihren Satz.
    Die Hände flatterten auf wie Möwen, die von einer plötzlichen Windböe erfasst wurden. » Eso es! Sie sagen es. Das kann sich dann keiner von uns leisten. Und die Besitzer sind fein raus, denn aus ihrer Sicht haben sie ja niemanden auf die Straße gesetzt.«
    Mit Erstaunen bemerkte ich den mütterlichen Ausdruck in ihren Augen, als sie den Blick über die versammelten Frauen gleiten ließ.
    »Wir sind wie eine Familie, wissen Sie?« Sie klang, als müsste sie die Worte einzeln zusammensuchen. »Wir sind wie Schwestern füreinander, auch wenn wir nicht verwandt sind.«
    »Was ist mit den Männern?«
    Ihre Mundwinkel zuckten abschätzig. »Männer sind Männer. Mal sind sie da, mal nicht, man kocht für sie, gebiert ihre Kinder, opfert sich auf, man denkt, man hat die große Liebe gefunden und am nächsten Morgen erwacht man allein und verlassen in einem eiskalten Bett. Es gibt immer eine Jüngere, eine Hübschere. Für Männer ist die Suche offenbar nie zu Ende.«
    Darauf fiel mir beim besten Willen keine entschärfende Antwort ein. Ich zog ein schuldbewusstes Gesicht und inspizierte meine Schuhspitzen.
    »Wenn wir in die Außenquartiere ziehen müssen, wird unsere Gemeinschaft auseinandergerissen. Auch wenn es von außen nicht so aussieht …« Maria zögerte. »Wir kümmern uns umeinander. Wir sind alle fremd in diesem Land und auf uns allein gestellt. Das hat uns zusammengeschweißt. Denn hier drin«, sie klopfte mit einer pathetischen Geste auf ihren üppigen Busen, »hier drin gehören wir zusammen. Wir sind Südamerikaner. Familie geht uns über alles, selbst wenn es nicht die eigene ist.« Sie hielt kurz inne und musterte mich. »Ich habe Sie noch gar nicht gefragt, was Sie hier suchen.«
    Ich wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel und schickte die Mariachikapelle, deren Musiker in meinem Kopf gerade zu Gitarre und Violine gegriffen und eine herzzerreißende Weise angestimmt hatten, in die Siesta.
    »Kennen Sie Rosa de Cruz?«
    »Rosa Maria Perez Martinez de la Cruz?«
    Wieder das Maschinengewehr. Die Dame schien hier ziemlich bekannt zu sein.
    Marias Augen verzogen sich zu misstrauischen Schlitzen. »Was wollen Sie von ihr?«
    »Ich will nur wissen, ob sie auch brav ihren Saft trinkt und keine Dummheiten macht.«
    »Kennen Sie sie?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Jemand hat mich beauftragt, nach ihr zu sehen.«
    »Jemand?« Überrascht sah sie mich an, doch ich ging nicht auf ihre Frage ein.
    »In welchem Stock wohnt sie?«
    »Im dritten. Aber Sie brauchen gar nicht hochzugehen.«
    »Und wieso nicht?«
    »Weil sie nicht zu Hause ist. Keiner weiß, wo sie steckt. Vorgestern Abend hat Antonia sie zum letzten Mal gesehen, als sie den Müll runtergebracht hat. Seither ist sie spurlos verschwunden.« Maria deutete auf die junge Frau, die immer noch auf dem Treppenansatz stand und eifrig auf ihre beiden wortkargen Freundinnen einredete.
    »In derselben Nacht, also in der Nacht auf Sonntag, hat jemand versucht, bei ihr einzubrechen. Glücklicherweise waren einige von uns noch wach und haben den Krach gehört. Gemeinsam haben wir den Typen vertrieben.«
    In meinem Kopf schrillte eine Alarmglocke. Mit einem Mal ahnte ich, dass wohl doch mehr hinter dem Auftrag von Blanchard steckte, als ich angenommen hatte.
    »Und das sagen Sie mir erst jetzt? So beiläufig?«
    Maria schnaubte missbilligend. »Sie haben nicht danach gefragt, und ich habe ja erwähnt, dass hier momentan alles drunter und drüber geht. Außerdem ist ja nichts passiert. Einbrüche geschehen halt manchmal. Wir haben gelernt, uns zu wehren. Ich glaube auch

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