Lichterfest
du willst.«
»Ich zahle nicht.«
Sie lachte kurz und hämisch. »Noch nicht, meinst du.«
Der Lebensmittelladen meiner Mutter, den sie mit unbeirrbarem Willen und mit viel Herzblut über Jahre hinweg zum Erfolg geführt hatte, indem sie hierzulande kaum erhältliche Lebensmittel aus Mumbai importierte und mittags indische Menüs über die Straße verkaufte, lag nur wenige Schritte von der Brauerstrasse entfernt. Wie immer, wenn ich den Laden betrat, hatte ich das Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen, als befände ich mich plötzlich in einer Blase, die losgelöst von Zeit und Raum ewig unverändert blieb. Alles war vertraut, die Welt meiner Kindheit. In diesem Kosmos war ich aufgewachsen, mit den aufgestapelten Reissäcken, den stets dampfenden Töpfen, den Gitterregalen mit den indischen Schönheitsprodukten, den auf einer mehligen Fläche aufgereihten Teigkugeln, aus denen meine Mutter Chapatis formte, der indischen Popmusik, dem betörenden Geruch reifer Mangos und der würzigen Schärfe von Senföl. Noch immer verspürte ich jedes Mal eine naive Geborgenheit, wenn ich eintrat, kurz nur, ein augenblicklanges Aufflackern kindlicher Gefühle.
Andererseits befremdete mich diese Welt zunehmend. Als Kind war sie mir ein Zuhause gewesen, doch im Teenageralter fand ich die unverfrorene Zurschaustellung indischer Lebensart meiner Eltern, dass sie zum Beispiel selbst vor meinen Freunden ausschließlich Hindi mit mir sprachen, nur noch peinlich. Ich wand mich unter den neugierigen Fragen meiner Mitschüler, die zwar mit den Gepflogenheiten der Italiener oder Türken vertraut waren, nicht aber mit denjenigen der Inder, von denen es damals nicht allzu viele in der Stadt gegeben hatte. Widerwillig erteilte ich Auskunft über Bindis, den Stirnschmuck der Frauen, mutmaßte über die unnatürlich hohen Stimmen indischer Sängerinnen und erfand Gründe, weshalb Inder mit der Hand aßen. Dabei litt ich stumm unter den ungläubigen Blicken meiner Schulkameraden und wünschte mir insgeheim ganz normale Schweizer Eltern, die weder beim Sprechen merkwürdig mit dem Kopf wackelten noch aus jeder Pore nach Curry rochen und grundsätzlich keinen Anlass zu bescheuerten Fragen boten.
Später dann, kurz nach der Matura, entflammte in mir plötzlich der Stolz auf meine Herkunft. Ich brachte mir ein paar Worte in Sanskrit bei, begann in der Kurta, der traditio nellen indischen Männerbekleidung, die entfernt an ein Nacht hemd erinnerte, herumzulaufen, kämmte mir einen Seitenscheitel und ließ den Schnurrbart wachsen. Eine Phase, die mich im Rahmen der Bekämpfung der offenen Drogenszene zu einem stadtweit beliebten Opfer von Polizeipatrouillen machte, da dunkle Hautfarbe gerade in Kombination mit Bart bei den Beamten einen pawlowschen Effekt auslöste und sie in höchste Alarmbereitschaft versetzte – selbst wenn ich die Herren nach durchschnittlich vier Kontrollen pro Woche mit Vornamen begrüßen konnte. Es war eine Phase, die sich nach einem Samstagabend vor der Kanzleidisco, an dem mir – zählte man diese verhuschte Ethnologiestudentin nicht mit – die Frauen geschlossen die Aufmerksamkeit und die Türsteher nicht weniger geschlossen den Zutritt verweigerten, als äußerst kurzlebig entpuppt hatte.
Seither versuchte ich, das richtige Maß an Nähe zur indischen sowie zur schweizerischen Kultur zu finden, ein Balanceakt, an dem ich nur scheitern konnte.
Oft fühlte ich mich befangen, wenn ich den Laden meiner Mutter betrat oder meine Eltern zu Hause besuchte. So schön es auch war, dass sie ihre Traditionen beibehielten, so abgekapselt vom Geschehen draußen auf der Langstrasse und vielmehr noch von meinem eigenen Leben in der Schweiz erschien mir ihr Dasein. Es war mir, als müsste ich bei jedem Besuch meine Identität wechseln – wie ein Hemd, das man bei unverhofftem Besuch schnell über das T-Shirt anzieht, nur um es dann sorgfältig in den Schrank zu hängen, sobald man wieder allein ist.
Denn draußen in meiner Welt fühlte ich mich wie ein Schweizer. Ich sprach wie ein Schweizer, aß wie ein Schweizer, kleidete mich wie einer, saß im Tram am liebsten allein auf einer Bank, war ein wenig verklemmt, wenn es darum ging, Frauen anzusprechen, und tendenziell misstrauisch Neuem und Fremdem gegenüber. Wenn sich an der Kasse jemand vordrängelte, empörte ich mich nicht, sondern trat höflich zurück und zog dafür ein beleidigtes Gesicht. War wahrscheinlich gegen Dinge versichert, die mir gar nicht widerfahren
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