Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
Vom Netzwerk:
macht dir dabei Sorgen?«, fragte ich sie und versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen.
    »Aber er ist doch jetzt tot!«, rief sie und sah mich an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen.
    »Wer ist tot?«
    »Dieser Politiker! Guckst du kein Fernsehen, Alter? Bringen sie jetzt überall.«
    »Der Graf?«
    »Genau! Genau der! Wie hieß der noch?«
    »Walter Graf.«
    »Yep, genau der war’s.«
    »Die Frau gab dir Geld und du musstest den Graf küssen?« Ich runzelte die Stirn.
    »Ja, sag ich doch schon die ganze Zeit. Ich sollte auf ihn zugehen, wenn er aus dem Restaurant kommt, und ihn dann umarmen und auf den Mund küssen. Aber so richtig.« Sie kicherte wieder, verstummte aber, als sie meine ernste Miene sah. »Sie hat gesagt, damit würde ich in die Zeitung kommen. Und da ich ja Model werden will …«
    »Wo war das? Wann?« José hatte sich ruckartig aufgerichtet, war aus dem Sessel gesprungen und stürmte jetzt auf Antonia zu.
    Sie duckte sich instinktiv, als hätte er die Hand erhoben. »Am Freitag. Vor der Casa Aurelio. «
    »Joder!« José blieb abrupt stehen und stampfte dann wütend mit dem Fuß auf. »Que mierda!«
    Es folgte eine schier unendliche Tirade an spanischen Schimpfwörtern, während die verängstigte Antonia quietschende Laute von sich gab.
    »Was? Was?« Ich musste schreien, um mich bemerkbar zu machen, doch wenn die Situation in meinem Büro schon außer Kontrolle geriet, wollte ich wenigstens wissen, weshalb.
    »Habe ich was falsch gemacht?«, wimmerte Antonia und versuchte, möglichst viel Abstand zwischen sich und den tobenden José zu bringen.
    »Ja! Nein! Joder! «
    »José, was ist los?«
    José fuhr herum, sein Gesicht war puterrot angelaufen. Rasch schenkte er sich einen Whisky ein und schüttete ihn hinunter.
    »Ich habe einen Tipp erhalten. Einen anonymen.« Er wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Dass Graf … Man kennt ja seine Vorgeschichte. Die jungen Mädchen. Die sehr jungen Mädchen. Die Anklage damals …«
    »Die fallen gelassen wurde.«
    »Richtig. Das alles schien vorbei. Er bereitete sich auf das Amt als Stadtpräsident vor, die Wahlen standen an. Saubere Weste, seriöses Auftreten, gemäßigte politische Haltung, der ganze Katalog.«
    »Vom Saulus zum Paulus.«
    »Maskenball trifft es eher. Da wäre es ein unglaublicher Skandal gewesen, wenn er mit einer blutjungen Frau mitten im Rotlichtmilieu beim Knutschen erwischt worden wäre. Ich habe einfach drauflos geknipst, ohne nachzudenken.«
    »Es war inszeniert.«
    »Wahlkampf!«
    »Aber wer steckt dahinter?«
    Wir wandten uns synchron Antonia zu, die unser Gespräch verwirrt mitverfolgt hatte.
    »Wie sah die Frau aus, die dich engagiert hat?«
    Sie zuckte mit den Achseln und wirkte jetzt plötzlich verzweifelt.
    »Versuch, dich zu erinnern.«
    »Ey, was weiß ich? Voll uncool sah sie aus. Kurze Haare, eine graue oder braune Jacke. Ehm … flache Schuhe. Keine Ahnung. Farblos irgendwie, die Alte.«
    »Eindeutig eine Zürcher Politikerin.«
    »Aber da würden doch auch die Abgebrühtesten nicht gleich selbst losmarschieren, um …«
    »Kaum.«
    José wandte sich Antonia zu. »Wo hast du sie getroffen?«
    Die Antwort kam prompt. »Sie lief mir hinterher und sprach mich vor dem Longstreet an. Das war am Freitagmittag, als ich von der Berufsschule kam. Ich musste dann sofort zum Restaurant gehen.«
    »Die wollte einfach eine junge Frau, egal welche.«
    »Genau wie Graf«, feixte José.
    »Und Antonia war zufällig vor Ort.«
    »Hallo!?« Antonia richtete sich empört auf, doch ich beachtete sie nicht.
    Etwas viel Wichtigeres war mir plötzlich eingefallen. »Wo sind die Fotos jetzt?«
    José riss die Augen auf, dann schlug er die Hand vor den Mund und stürzte zur Tür.
     
    Ich rannte hinter José die Langstrasse entlang. Später Nachmittag, der Verkehr staute sich wie immer um diese Zeit, und Zürichs wohl belebteste Straße wirkte trotz der bunt pulsierenden Neonreklamen und blinkenden Restaurantbeschriftungen herbstlich grau und unwirtlich.
    Hastig hatte ich die verwirrte Antonia aus meinem Büro bugsiert und ihr dabei eingebläut, mit niemandem über die Fotos zu sprechen, da ich nicht abschätzen konnte, ob sie sich deswegen in Gefahr befand. Aber die Warnung kam wahrscheinlich ohnehin viel zu spät. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie ihren Schulkameradinnen gegenüber die Klappe gehalten hatte.
    Jetzt hetzten wir durch die Unterführung unter den Bahngleisen, welche die Kreise 4 und

Weitere Kostenlose Bücher