Lichterfest
lange bleibt sie?«
»Sie sagt, es gefällt ihr gut bei uns.« Meine Mutter verzog das Gesicht, und Manju legte ihr besänftigend den Arm um die Schultern.
Ich beschloss, das Thema zu wechseln. »Heute Abend ist eine Vernissage, gleich um die Ecke. Hast du Lust mitzukommen, Manju?«
Manju warf meiner Mutter einen fragenden Blick zu, worauf diese süßlich lächelte. »Geht nur, ihr Turteltäubchen. Macht euch einen schönen Abend.« Sie klimperte vielsagend mit ihren Wimpern.
»Ma, es ist nur eine Vernissage. Eine Bilderausstellung.«
»Ja, natürlich, Beta, mein Junge. Hauptsache es gibt bald eine Schar kleiner Vijays.«
»Oje. Komm, Manju.«
Manju verschwand im hinteren Teil des Ladens, um sich umzuziehen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und Auntie Bahula hereinstürzte. Heftig atmend blieb sie stehen und verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war.
»Auntie Bahula? Alles klar?«, fragte ich sie.
Sie schob ihre heruntergerutschte Brille nach oben, strich ihren in Unordnung geratenen Sari glatt und blickte mich dann empört an. »Da war ein Mann!«
»Nun …«
»Ein Lecher! «
»Ein Lustmolch? Aber Auntie …«
»Er hat mich angesehen.« Sie setzte eine würdevolle Miene auf. »Unsittlich!«
»Ich glaube kaum …«
»Eine ganz und gar verruchte Kona ist das! Ich bin entsetzt, Bhabhi! «, wandte sie sich aufgebracht an meine Mutter. »Nie hätte ich gedacht, dass es so etwas in der Schweiz gibt. Ich frage mich, ob sie unsere Bollywoodfilme wirklich hier drehen. Weit und breit keine schneebedeckten Berge zu sehen, keine malerischen Bergdörfer, nicht einmal ein See, dafür jede Menge Frauen, deren Bekleidung mir schon die Schamesröte ins Gesicht treibt, über ihr vulgäres Verhalten will ich mich erst gar nicht auslassen. Aré, das ganze Viertel ist voller Ausländer, man sieht ja kaum einen Schweizer! Ich weiß nicht, wie du das aushältst, Bhabhiji, ich jedenfalls hätte meine Kinder nicht in dieser Gegend aufziehen wollen.« Auntie Bahula reckte meiner Mutter vorwurfsvoll ihr Kinn entgegen.
Das Bild, das unsere Verwandten von der Schweiz hatten, stimmte wie vermutet nicht mit der Realität überein. Auch wenn sie sich bislang nichts hatte anmerken lassen, war Auntie Bahula wahrscheinlich erstaunt, dass meine Mutter nicht über ein Heer von Angestellten verfügte, sondern selbst im Laden arbeitete und ihr die gebratenen Tandoorihähnchen auch nicht einfach so in den Mund flogen.
Mittlerweile hatte sich Auntie Bahula wieder etwas beruhigt. Unvermittelt hob sie den Kopf und schnupperte demonstrativ. »Was riecht hier so? Sind das etwa verbrannte Zwiebeln?« Sie wandte sich meiner Mutter zu. »Bhabhi?«
Meine Mutter lächelte säuerlich. »Mir fällt nichts Ungewöhnliches auf.«
»Vielleicht hast du eine verstopfte Nase?« Ehe sie jemand daran hätte hindern können, war Auntie Bahula hinter den Tresen geeilt und hatte meiner Mutter den Kochlöffel aus der Hand gezerrt. »Was kochst du da?« Sie steckte die Nase in den Topf und verzog das Gesicht. »Soll das etwa ein Rogan Josh werden? Ist das eine Schweizer Version? Es riecht wie dieses Zürcher Geschnetzelte! Du bist schon zu lange in diesem Land. Hast du etwa verlernt, indisch zu kochen?«
Meine Mutter breitete resigniert die Arme aus und schwieg.
»Aber keine Sorge, Auntie Bahula steht dir bei! Ich zeige dir jetzt, wie man ein richtig leckeres Lammcurry zubereitet. Punjabi-Style, wie bei den armen Leuten bei uns zu Hause. Genau das Richtige zu Diwali! «
»Das Fest, an dem man den Sieg des Guten über das Böse feiert, des Lichts über die Dunkelheit!«, flüsterte meine Mutter halblaut, der bittere Sarkasmus war jedoch nicht zu überhören.
»Vergiss dabei nicht, dass es auch um das Erkennen eigener innerer Stärke geht, Bhabhiji «, flötete Auntie Bahula zuckersüß, während sie ein paar Kardamomkapseln aus einer Tüte in ihre Hand schüttete.
»Höchste Zeit zu gehen«, drängte ich Manju, als sie aus dem kleinen Kabäuschen trat, das gleichzeitig als Umkleideraum und Warenlager diente, und streckte die Hand nach ihr aus, die sie sofort ergriff.
Während Auntie Bahula bereits den Sari raffte und sich kritisch über die Pfannen beugte, zwinkerte ich meiner Mutter zum Abschied zu. Als Antwort war nur eine Art Wimmern zu vernehmen, doch ich war mir sicher, dass es sich dabei um Stoßgebete an die Göttin Durga handelte, die voller Erbarmen war und einen aus Situationen äußerster Not erlösen
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