Lichterfest
Erkenntnisse. José hielt mich ausgezeichnet auf dem Laufenden.
Immer brennender interessierte mich, was Rosies Wegbleiben von der Arbeit mit Grafs Tod zu tun haben könnte. Vielleicht war die ganze Geschichte mit den Fotos nur eine Verleumdungskampagne, die möglicherweise ein ebenfalls kandidierender Politiker gestartet hatte, um zu verhindern, dass Walter Graf als Stadtpräsident gewählt würde. Eiskalt hatte man eine Szenerie arrangiert, in welcher der ausnahmsweise unschuldige Graf mit einer attraktiven und sehr jungen Frau in einer eindeutigen Situation fotografiert wurde. Der anonyme Tipp. Er will Graf öffentlich bloßstellen, was bei dessen Vorgeschichte verheerend für seine Karriere gewesen wäre. Doch dann stirbt Graf unerwartet und die Person sorgt eilig dafür, dass die Fotos vernichtet werden. Weil sie nutzlos geworden sind. Eventuell sogar aus Respekt vor dem Toten. Oder aus Angst, dass man den Auftrag zurückverfolgen könnte. Offenbar war sich der Tippgeber sicher, dass José als Journalist die Fotos umgehend veröffentlichen würde. Was er aber nicht getan hatte.
Ich hielt mitten in der Bewegung inne. Mittlerweile war es beinahe dunkel. Die Lichter strahlten jetzt heller und kräftiger, die ersten Frauen machten sich bereit für die Abendschicht. Lange Jacken, unter denen kurze, glitzernde Kleidchen hervorblitzten. Kniehohe Stiefel, Absätze, dünn und hoch wie Stricknadeln. Ich zündete mir eine Zigarette an.
José war ein ehrgeiziger Journalist, dem seine Karriere wichtig war. Weswegen hatte er dann die brisanten Fotos, die sich unzweifelhaft in seinem Besitz befunden hatten, nicht veröffentlicht? Die Bilder waren nie in dem Gratisblatt erschienen. Sie hätten einen derartigen Skandal ausgelöst, dass ich garantiert davon erfahren hätte. Stattdessen hatte José die Fotos bei sich zu Hause aufbewahrt, bis sie ihm geklaut worden waren.
Angestrengt dachte ich nach, doch ich kam nicht darauf, wo der Haken lag. Was hatte José mit ihnen vorgehabt? Was übersah ich?
Ich holte mein Mobiltelefon hervor und wählte Josés Nummer, doch er nahm nicht ab. Wahrscheinlich war er gerade mit der Polizei beschäftigt. Ich würde es später erneut versuchen. Irgendetwas war hier faul, und José hatte eindeutig damit zu tun.
Missmutig blätterte ich weiter und stieß auf einen kurzen Bericht zum Überfall am Samstagabend. Der Tod Grafs hatte diesen Vorfall natürlich innert Tagesfrist von den Titelseiten verdrängt, entsprechend nichtssagend war auch der Beitrag. Die drei Burschen befänden sich in Untersuchungshaft, das Opfer läge nach wie vor im Koma, sein Zustand habe sich aber stabilisiert. Schon in ein paar Tagen würde der Vorfall vergessen sein oder im schlimmsten Fall von einem neuen, noch brutaleren übertrumpft werden.
»Hai rabba!«, klagte meine Mutter gerade, als ich die Tür zu ihrem Laden öffnete. Erst als ich drin war, bemerkte ich, dass sich ihr Ausruf keineswegs auf mich bezogen hatte, wie sonst eigentlich immer, sondern dass sie mit Manju argumentierte.
»Streitet ihr euch schon wieder?«, erkundigte ich mich.
»Wir und streiten?« Meine Mutter sah mich aufrichtig erstaunt an, während Manju missbilligend den Kopf schüttelte.
Ich hielt den Mund, was aufgrund jüngster Erfahrungen empfehlenswert war.
»Es geht um Auntie Bahula!« Meine Mutter verdrehte die Augen und hob die Hände zum Himmel. »Sie treibt mich in den Wahnsinn!«
Das am meisten unterschätzte Talent indischer Frauen, insbesondere der Mütter. Aber ich hielt den Mund.
»Erst ein paar Stunden hier und schon halte ich es kaum mehr aus. Ich habe ihr das Bettsofa aufgeklappt, doch sie behauptet, sie kriege Rückenschmerzen, obwohl sie noch keine Sekunde darauf gelegen hat! Dann hat sie sich umständlich ein Lager aus Kissen und Decken hergerichtet und mich dabei die ganze Zeit vorwurfsvoll angesehen. Mitten im Wohnzimmer, hai rabba! Es mache ihr nichts aus, auf dem Boden zu schlafen, schließlich kenne sie nichts anderes. Und zum Nachtessen brauche sie nicht mehr als eine Schale Reis und etwas Daal, damit sei sie zufrieden, sie sei eine ganz einfache Frau ohne große Ansprüche.« Meine Mutter schluchzte auf. »Und falls meine reichen Schweizer Freunde zu Besuch kämen, würde sie sich selbstverständlich in die Küche zurückziehen. Sie wolle mich nicht beschämen und mir unter gar keinen Umständen zur Last fallen!«
»Du hast ihr das Bett überlassen.«
»Und die Küche. Und einen Badezimmerschrank.«
»Wie
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