Lichterfest
Andauernd musste ich an Rosie denken, die sich vielleicht in Gefahr befand, an José, der mir etwas verheimlichte, an den mysteriös vermummten Mann, der hinter Fernando her war. Auch der tote Politiker ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich war alles andere als ein alter Hase im Detektivgeschäft, umso mehr musste ich mich bemühen, den Überblick nicht zu verlieren. Vielleicht hätte es geholfen, wenn ich ausnahmsweise nüchtern geblieben wäre, aber irgendwie erschien mir das keine erstrebenswerte Option.
»… mit dieser Form zu sagen, dass …« Manju hielt mitten im Satz inne und sah mich empört an. »Vijay, du hörst mir überhaupt nicht zu!«
»Doch, natürlich höre ich dir zu.«
»Nein, tust du nicht!«
»Aber ich hätte dir auf jeden Fall zugestimmt.« Ich musste lernen, die Klappe zu halten.
Wutschnaubend wandte sich Manju ab und strebte dem Ausgang zu. Seufzend kippte ich meinen Drink runter und folgte ihr. Aus Filmen wusste ich über das in solchen Situationen angebrachte Verhalten Bescheid.
»Rüdiger! Helmut! Ihr hier! Wahnsinn!«, hörte ich hinter mir Eleonora jubeln, als ich die Tür aufdrückte.
Natürlich hatte Manju nicht gewartet, sondern war bereits ein gutes Stück die Straße rauf Richtung Helvetiaplatz marschiert. Ich legte einen Spurt hin und holte sie auf der Höhe des Hooters ein, einer Art Erlebnisrestaurant für Männer mit elementaren Ansprüchen, in dem kleine Frauen mit großen Brüsten in zu engen Hemdchen und zu kurzen Höschen amerikanisches Fast Food und Bier an die Tische schleppten. Schon öfter hatte ich mich gefragt, ob es etwas Entsprechendes auch für Frauen gab. Und wer dann dort essen wollen würde.
»Manju, warte doch!«
Unvermittelt blieb sie stehen. »Vijay …« Sie schien nach Worten zu suchen. Das verhieß nichts Gutes.
»Ich weiß, dass sich deine Mutter sehr darüber freuen würde, wenn das mit uns klappt, aber ich muss dir ehrlich sagen, dass ich mir diesbezüglich nicht so sicher bin.«
»Aber …«
»Nein, lass mich ausreden! Das ist jetzt nicht einfach für mich.« Sie holte tief Atem. »Ich mag dich sehr, Vijay …«
Irgendwie missfiel mir dieser Anfang, er erinnerte mich zu sehr an die Antwort des hübschesten Mädchens in der Grund schule auf meine alles entscheidende Frage.
»Ich verbringe gern Zeit mit dir, du bist witzig und, wenn du willst, charmant, manchmal halt auch ein Rüpel, aber du bist ein Mann und ein Einzelkind, dafür kannst du nichts. Aber wir sind zu verschieden, wir haben andere Ziele im Leben. Jetzt noch mehr als zuvor.«
Ich horchte auf. »Wie meinst du das?«
»Du bist hier aufgewachsen, bist sowohl Schweizer als auch Inder. Ich hingegen bin ein Landei, aus der tiefsten indischen Provinz, wie du letzthin selbst gesagt hast. Und bis vor Kurzem war ich ein einfaches Mädchen, das sich nichts sehnlicher gewünscht hat, als zu heiraten und Kinder zu haben, wie man mir das ein Leben lang eingetrichtert hat. Aber dann kam ich hierher und habe entdeckt, dass es noch Hunderte anderer Möglichkeiten gibt. Gerade für Frauen. Und die will ich wahrnehmen. Ich habe keine Lust, jetzt schon Mutter zu sein, Kinder aufzuziehen, den Haushalt zu führen, wie es die Tradition gerne sähe. Nein, ich will etwas erleben und sehen, was das Leben sonst noch für mich bereithält.«
Zu viel Pathos, eindeutig, das musste an den Bollywoodfilmen liegen, aber ich begriff, was sie mir zu sagen versuchte. Ich lächelte ermunternd, doch sie hielt mir den Finger an die Lippen.
»Deswegen spreche ich jetzt zum Schweizer in dir, der wird das vielleicht eher verstehen: Lass mich gehen.«
Mit einem Mal realisierte ich, dass ich mir nie ernsthaft Gedanken darüber gemacht hatte, was ich eigentlich von Manju wollte. Ich fand sie anziehend, das war klar, sie war hübsch und intelligent. Sie hatte alles, was ich an einer Frau schätzte, und doch musste ich mir eingestehen, dass ich nicht verliebt in sie war. Ich hatte auch nie ernsthaft an eine Beziehung gedacht, ich wollte bloß ausprobieren, wie weit ich bei ihr gehen durfte. Dass das nicht weit war, hatte ich rasch gemerkt.
Ich musste mir eingestehen, dass ich sie mochte, sehr sogar, doch mehr war da nicht. In Gedanken hörte ich meine Mutter bereits jammern. Aber das tat sie ohnehin ohne Unterlass.
»Ich werde dir nicht im Weg stehen.«
Einen Moment lang schwiegen wir. So nah wie jetzt waren wir uns noch nie gewesen. Es war eine berührende und gleichzeitig traurige Situation. Auf einmal
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