Lichterfest
konnte.
Erst als wir auf der Straße waren, hatte ich Zeit, Manjus Kleid zu betrachten. Es war rosafarben und mit übergroßen Hibiskusblüten verziert. Unter der Brust wurde es von einem Stoffband in dunklerem Rosa zusammengehalten, was ihre zierliche Figur vorteilhaft betonte. Ihr schwarz glänzendes Haar hatte sie mit einem weißen Haarreif zurückgesteckt, sie trug nur einen Hauch von Make-up. Um ihren Hals lag ein leichter, lachsfarbener Schal aus Chiffon, feine, goldene Armreifen klirrten an ihren Handgelenken. Mir kam es vor, als hätte sie mitteleuropäische Mode mit indischer Tradition gekreuzt. Vielleicht gab es sogar einen Namen dafür, Fusion Fashion oder so, doch natürlich hatte ich keine Ahnung. Aber eigentlich war es müßig, sich über die Bezeichnung ihres Kleidungsstils Gedanken zu machen: Sie sah schlichtweg umwerfend aus.
»Wie findest du das Kleid?«, fragte sie, während sie ein paar Schritte vorausging und sich dann im Kreis drehte.
»Na ja … ist es neu?«
Falsche Antwort. Manjus Lächeln gefror, sie wandte sich ab und lief etwas schneller. Ich hätte nur sagen müssen, was ich gedacht hatte, doch ihre Frage hatte mich überrumpelt und jetzt war es zu spät.
»Es sieht fabelhaft aus. An dir sieht alles fabelhaft aus! Du bist fabelhaft!«
Sie verlangsamte nicht einmal ihre Schritte.
»Hinreißend!«
Ich fluchte leise vor mich hin und beeilte mich, sie einzuholen. Kurz vor der Galerie war ich gleichauf und hielt sie am Arm fest.
»Manju!«
Sie drehte ihr Gesicht weg, doch ich konnte erkennen, dass sie lächelte. Ermutigt lehnte ich mich vor und versuchte sie zu küssen, doch noch ehe meine Lippen ihre Wangen berührten, stieß sie mich weg. Ich versuchte es erneut. Jetzt kicherte sie schon, doch wieder schubste sie mich von sich. Ich sah sie an, bis sie zögernd den Kopf wandte. Dann versuchte ich es mit einem Blitzangriff, doch sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Ich kam mir vor wie ein dämlicher Pfau bei der Balz. Abrupt drehte ich mich um und ließ sie stehen.
»Vijay!«
Natürlich. Ich ging absichtlich schneller, bis ich das eilige Klappern ihrer Riemensandalen hinter mir hörte. Noch bevor ich die Galerie im ehemaligen Verkaufslokal der Perla-Mode erreicht hatte, spürte ich einen Lufthauch an meiner Wange und roch ihr zimtiges Parfüm, gleich darauf hängte sie sich bei mir ein. Etwas atemlos betraten wir die Ausstellung.
Die Lichter im Raum waren heruntergedimmt, allein die Bilder leuchteten hell im Schein der auf sie gerichteten Spots, wodurch man die meisten der anwesenden Vernissagebesucher nur noch als Silhouetten wahrnahm. Sie bildeten eine dunkle, sich langsam im Kreis drehende Masse, aus der ab und zu ein weißes Hemd aufblitzte oder ein von einem Handy blass beschienenes Antlitz. Diejenigen, die in der Nähe der Kunstwerke standen, beleuchtete der Widerschein schwach und ließ ihre Gesichter erstaunt, beinahe andächtig aussehen, was der Szene etwas Sakrales verlieh.
Ich verzichtete darauf, Manju zu erklären, womit die Bilder gemalt waren, und suchte stattdessen die Bar auf, die sich im hinteren Teil der Galerie befand. Als ich mich umdrehte, um Manju zu fragen, was sie trinken wollte, war sie nicht hinter mir. Ich drängelte mich durch die Besucher zurück und fand Manju vor einem der Bilder stehen. Mit regloser Miene betrachtete sie das Kunstwerk, auf dem zwei nackte, sich wälzende Leiber abgebildet waren. Einen Moment lang befürchtete ich, sie könnte schockiert sein. Immerhin war sie noch nicht lange in der Schweiz und in der indischen Provinz bekam man Kunstwerke dieser Art wohl nicht allzu oft zu Gesicht. Meine Idee, sie mitzunehmen, war vielleicht etwas zu spontan und vor allem unüberlegt gewesen. Ich hätte mich ohrfeigen können. Beruhigend legte ich ihr den Arm um die Schultern und machte mich auf einen Zusammenbruch gefasst.
»Es ist wunderbar!«, stammelte sie zu meinem Erstaunen und ergriff meine Hand. »So … zart. Und trotzdem brutal. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Super, dass du mich hierhin mitgenommen hast!«
Ich errötete und schluckte leer.
Begeistert eilte Manju weiter zum nächsten Bild, das sie eingehend betrachtete, bevor sie mich aufgeregt heranzog.
»So etwas habe ich noch nie gesehen! Diese Farbe …«
Ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals.
»Vijay, da bist du ja!« Eleonoras Stimme erlöste mich unverhofft aus meiner Bredouille. Sie kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zugeschwebt und küsste
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