Lichterfest
und schob sich schließlich eine Gabel voll in den Mund. Er kaute viel länger als nötig, bevor er endlich schluckte. »Ich hab dir doch erzählt, dass ich mich bei Blanchard beworben habe.«
»Ich erinnere mich. Ein paar coole Paparazzofotos und ein schmissiger Text, wie du es formuliert hast.« Der Groschen fiel beinahe gleichzeitig. Ich starrte José an. »Du hast was? Doch nicht etwa …?«
»Ich hab gedacht, die Fotos sind einfach zu brisant und zu wertvoll, um sie einfach so abzudrucken. Das wäre eine Riesensache geworden, und ich wollte eine größere, eine wichtigere Plattform. Sie waren meine Eintrittskarte zu einer steilen Journalistenkarriere.«
Mir blieb der Bissen im Hals stecken. »Du hast Blanchard die Fotos überlassen?«
»Ich habe sie am Freitagabend persönlich bei ihm vorbeigebracht.«
»Ausgedruckt?«
»Natürlich. Großformat.«
»Warst du bei ihm zu Hause?«
José sah mich erstaunt an. »Ja, natürlich. Blanchard hat mich kurz in sein Büro gebeten. Die Fotos hat er sich kaum angesehen und gesagt, dass er sich melden würde. Er hat sie einfach auf dem Tisch liegen lassen.«
»Und Rosie, die am Samstagmorgen bei ihm geputzt hat, hat sie entdeckt und darauf ihre Nichte erkannt! Verdammt!«
» Joder! Auf diese Möglichkeit bin ich gar nicht gekommen!«
»Sie hat sie mitgehen lassen, weil sie wohl ahnte, dass Antonia Probleme bekommen könnte.«
Alles passte mit einem Mal zusammen.
»Deswegen wurde noch am selben Abend versucht, bei Rosie einzubrechen. Und schon am nächsten Tag wollte Blanchard mich beauftragen, sie ausfindig zu machen. Dabei ist er nur hinter den Bildern her!«
Ich fragte mich, was damit geschehen war. Rosie selbst hatte sicher nicht wissen können, dass es Originaldateien gab und dass einzig José diese besaß. Blanchard hingegen schon. Hatte er jemandem den Auftrag gegeben, bei José einzubrechen? Und ich war derjenige, der ihn zu den Ausdrucken führen sollte, nachdem der Einbruch bei Rosie schiefgegangen war?
Aber was wollte er überhaupt damit? Wollte er die Fotos inklusive der Dateien in seinen Besitz bringen, damit er sicher sein konnte, dass sie exklusiv in seiner Zeitung und nirgendwo anders veröffentlicht wurden? Oder wollte er sie vernichten? Und was würde wohl mit Rosie geschehen, wenn er sie in die Finger kriegte? Die Fragen schwirrten in meinem malträtierten Gehirn herum, ohne dass sich auch nur eine einzige sinnvolle Antwort fand.
Dafür fiel mir etwas anderes ein, was José eben erwähnt hatte. »Wieso war Blanchard im ersten Moment so wenig an den Fotos interessiert? Du hast gesagt, dass er sie einfach hingelegt hat.«
»Richtig, er hat sie ganz kurz betrachtet …«, José fuchtelte mit der Plastikgabel in der Luft herum, »… und wirkte erschrocken. Als würde er die Fotos wiedererkennen, aber das konnte ja nicht sein. Er schien ziemlich nervös, als er mich hinausspediert hat.«
»Erschrocken? Nervös? Das hast du vorhin nicht erwähnt.«
»Es erschien mir nicht wichtig.«
Ich zündete mir eine Zigarette an und wünschte, ausnahmsweise einmal die Gesamtleistung meines Gehirns zur Verfügung zu haben. Gegenüber, vor dem kleinen Supermarkt auf der andern Seite der Langstrasse, warf ein alter Mann Glasflaschen in einen Sammelcontainer, jedes Klirren ließ auch in meinem Kopf etwas zersplittern. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
»Und weshalb hat Blanchard die Fotos nicht gleich am Freitag in die Redaktion gebracht und am Samstag veröffentlicht? Die Auflage seiner Zeitung wäre doch sprunghaft angestiegen!«
»Das habe ich mich auch gefragt, als ich keine Rückmeldung bekam. Ich nehme an, Graf und er haben in denselben Kreisen verkehrt, man kennt sich hier. Zürich ist nicht so riesig, da wäscht eine Hand die andere.«
Die Überlegung war wohl richtig, sie überzeugte mich dennoch nicht restlos. Denn in erster Linie war Blanchard ein erfolgreicher Geschäftsmann, der von Skandalen profitierte. Und genau so einen hatte er mit den Fotos geliefert bekommen.
Ich würde dieser Frage später nachgehen. Erst einmal musste ich endlich herausfinden, wo sich Rosie befand.
Ungeduldig betrachtete ich Claires Hände, die leicht zitternd die dampfende Tasse auf dem Unterteller vor mir platzierten.
»Kardamom ist aus, deshalb gibt es heute Kaffee.« Sie lächelte entschuldigend. »Es ist lieb von Ihnen, dass Sie mich besuchen kommen. Ich wollte eigentlich im Garten …« Sie brach mitten im Satz ab und blickte aus dem
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