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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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etwas anderes an Claires Bericht stutzig gemacht hatte. Doch erst als ich beinahe zu Hause war, fiel mir ein, was es gewesen war: Fernando hatte angeblich gesagt, dass der Mann ein Schwein sei. Was darauf hindeutete, dass er kaum mit Graf persönlich gesprochen haben konnte. Vielleicht hatte er auch gesagt »Ihr Mann« und Claire hatte es falsch verstanden. Sie hörte ja angeblich nicht mehr so gut. Dann wäre es eindeutig, mit wem er sich unterhalten hatte: mit Alice. Grafs Frau.
     
    In meinem Büro angekommen, schenkte ich mir ein großes Glas Amrut ein und ließ zwei Eiswürfel hineingleiten. Noch immer hatte ich ein flaues Gefühl in Kopf und Magen, doch nach ein paar Schlucken Whisky fühlte ich mich deutlich besser. In Gedanken versunken blätterte ich die gestrige Zeitung durch. Nach einem überaus sonnigen September und einigen strahlend klaren Oktobertagen kündigten die Vorhersagen herbstliches Wetter an. War ja auch die Zeit dafür.
    Ich begann einen Artikel über Graf zu lesen, ohne dass ich hätte sagen können, worum es darin ging, und blätterte bald weiter zu den Klatschmeldungen und skurrilen Kurznachrichten aus aller Welt. Das würde mein lädierter Verstand knapp bewältigen können.
    Ich zuckte zusammen. Das Bild war großformatig, farbig und prominent auf der Seite platziert. Nachdem ich es sekundenlang und mit angehaltenem Atem studiert hatte, fuhr ich meinen PC hoch und rief das Schweizer Telefonverzeichnis im Internet auf.
    »Ja, bitte?« Claires Stimme klang brüchig und unsicher.
    »Claire, ich bin’s noch mal, Vijay Kumar.« Meine Gedanken machten Luftsprünge und Salti, nur mit Mühe gelang es mir, sie zu bändigen.
    »Ach, Sie sind’s! Möchten Sie auf einen Kaffee vorbeikommen? Kardamom ist leider aus, sonst … Moment mal! Waren Sie nicht eben hier? Sie haben doch nicht etwas vergessen?«
    »Nein, aber mir ist noch eine Frage eingefallen.«
    »Ich bin ganz Ohr.«
    »Haben Sie Frau Graf am Montagmittag nach Hause kommen sehen?«
    Claires Antwort kam postwendend. »Aber natürlich. Ich stand gerade im Garten, als sie ankam. Die Forsythien waren dieses Jahr …«
    »Claire, Sie müssen sich jetzt konzentrieren.«
    »Konzentrieren, ach so.« Sie kicherte leise.
    »War sie alleine?« Ich klappte mein Notizbuch auf.
    »Ja.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja, ganz sicher. Sie hatte ihren BMW vor dem Grundstück auf dem Trottoir parkiert und leerte auf dem Weg hinein den Briefkasten, daran erinnere ich mich ganz genau. Die Post kommt bei uns hier oben ja erst gegen Mittag, wissen Sie. Man kann über diese Frau sagen, was man will, aber Geschmack hat sie. Die Kleider, der Schmuck, die Accessoires, alles perfekt aufeinander abgestimmt. Dunkelblaues Kleid, eine auffällige Perlenkette, wie aus einem dieser Modemagazine. Selbst zum Einkaufen geht sie immer wie aus dem Ei gepellt …«
    »Claire!« Ungeduldig trommelte ich einen Marsch auf die Tischplatte.
    »Ach ja, entschuldigen Sie. Manchmal schweifen meine Gedanken etwas ab. Meine Ausflüge finden mittlerweile vor allem im Kopf statt. Wo sind wir stehen geblieben?«
    »War Alice Graf allein?«
    »Ja. Natürlich war wie immer der Parteisekretär, dieser Schluep, bei ihr, aber sonst war sie allein.«
    »Martin Schluep war dabei, als sie ankam?«
    Der Parteisekretär war als extrem ehrgeizig bekannt, was seine Karriere betraf, war er doch als Nachfolger Grafs vorgesehen, und galt bezüglich seiner politischen Position als Hardliner, gerade in Ausländerfragen. Doch auch privat trieb er sich zu Höchstleistungen an: Bereits mehrfach war der renommierte Wirtschaftswissenschaftler als Marathonläufer und bei Zehnkämpfen ausgezeichnet worden. Obwohl das Ehepaar Graf seine Karriere gezielt vorantrieb, war er für viele nicht die optimale Wahl als zukünftiger Parteipräsident. Zu kalt wirke er, bemängelte man – selbstverständlich hinter vorgehaltener Hand – selbst bei der VPRS . Obwohl Schluep die jeweils aktuelle Meinung seines Mentors mit geradezu sklavischem Eifer nachbete, sei er kein Sympathieträger. Oder vielleicht gerade deshalb.
    Tatsächlich wirkte sein schmales, asketisches Gesicht mit den zusammengekniffenen Lippen, die sich selbst zum Lächeln nicht öffneten, wenig einnehmend. Als unheimlich und reptilartig hatte ihn eine linke Politikerin einmal beschrieben.
    »Ja, Schluep war auch da«, bestätigte Claire. »Der schwänzelt ja dauernd um sie herum. Aber diesmal ließ er sie nur aussteigen und fuhr gleich wieder davon.«
    Um im

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