Lichterfest
gesagt?«
»Gesagt?« Stefan lachte trocken. »Er hat geflucht, dass sich selbst die Zuhälter ums Eck geschämt hätten.« Er biss irgendetwas ab und fuhr mit vollem Mund fort: »Er habe Scheiße gebaut, hat er ununterbrochen wiederholt, verdammte Scheiße. Aber er wüsste, wie er es angehen wolle, damit alles gut werde.«
Vergeblich versuchte ich mir einen Reim darauf zu machen, während Stefan mir lautstark ins Ohr rülpste. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Hemmungslosigkeit heutzutage zum Anforderungsprofil angehender Anwälte gehörte, aber weshalb musste er das ausgerechnet mir beweisen?
»Dann verschwand er im Büro der Chefin im ersten Stock«, nahm er seinen Bericht unverhofft wieder auf. Der Gashaushalt in seinem Magen schien wieder im Lot.
Ich horchte auf. »Was wollte er da?«
»Ich habe keine Ahnung. Zuerst war es lange still, bis ich das leise Surren des Kopiergeräts hörte, vielleicht war es auch der Drucker. Dann kam er auch schon wieder herunter und kritzelte hastig etwas auf einen Umschlag. Da trampelte plötzlich dieser andere Typ rein. Er musste sich erst im Lokal umgesehen haben, doch Fernando hatte ihn rechtzeitig entdeckt. Er ist leichenblass geworden und durch den Hinterausgang abgehauen.«
Fernando hatte also die Fotos kopiert! Cleveres Kerlchen. Aber wo hatte er sie hingebracht? Um sie zu verstecken, hatte ihm die Zeit gefehlt, sein Verfolger war ihm zu dicht auf den Fersen.
»Und der Typ?«
»Der war merkwürdig. Trug Mantel und einen Hut und dann dieses schwuchtelige lila Halstuch, das er bis über die Nase gezogen hatte. Er wollte wissen, wohin Fernando verschwunden sei, doch ich habe ihn hingehalten, bis er grob wurde. Er hat mich am Kragen gepackt und beinahe über den Tresen gezerrt. Ich habe dann vage hinausgedeutet, und der Typ ist losgerannt. Ich natürlich sofort hinterher, doch Mann, das glaubst du nicht, der konnte rennen wie der Teufel! Da konnte ich nicht mithalten.«
»Hast du Fernando noch gesehen?«
»Ja klar, der stieg gerade in den Bus.«
»In welchen?«
»In den Zweiunddreißiger, Richtung Limmatplatz.«
Dass der Mann rennen konnte, hatte ich selbst erlebt. Und der Bus hielt auf der kurzen Strecke sogar ein weiteres Mal. Schluep musste beinahe gleichzeitig mit Fernando am Limmatplatz angekommen sein. Was hatte sich dann abgespielt? Die Trams Nummer 4 und 13 fuhren von dort direkt zum Escher-Wyss-Platz.
Ich fragte mich, wie es Fernando geschafft hatte, unbehelligt bis dorthin zu gelangen.
Kaum hatte ich mich an meinen Schreibtisch gesetzt und mir ein wohlverdientes Glas Amrut eingeschenkt, klingelte es auch schon an der Tür. Blanchard war pünktlich wie eine Schweizer Uhr.
Heute trug er einen dunkelgrauen Anzug und ein lachsfarbenes Hemd dazu. Er hielt sich nicht lange mit Begrüßungsfloskeln auf, sondern steuerte den Besuchersessel an und ließ sich mit einem gepressten Stöhnen hineinfallen.
»Trinken Sie bei der Arbeit?«, fragte er und deutete auf mein großzügig gefülltes Glas.
»Nicht ausschließlich.«
Fragend zog er eine Augenbraue hoch.
»Manchmal auch vorher, ganz sicher nachher.«
Ein Augenblick lang herrschte angespannte Stille.
»So. Was haben wir?«
Ich setzte mich und schlug einen Aktenordner auf, der zufällig gerade dort lag. Eifrig blätterte ich die Seiten um und hoffte, dass Blanchard von seiner Position aus nicht erkennen konnte, dass es sich dabei um das minutiöse Protokoll der Überwachung eines untreuen Ehemannes handelte. Ich bedeckte mit der Hand einen etwas zu eindeutigen Schnappschuss, räusperte mich und hob den Kopf.
»Ich habe in Erfahrung gebracht, wo sich Rosie befindet. Bevor ich Ihnen aber verrate, wo sie ist, bin ich darauf angewiesen, dass Sie mir ein paar Fragen beantworten.«
»Wenn es sein muss.« Er schmatzte unwillig.
»Ehrlich.«
Er starrte mich sekundenlang an, bevor sich sein Gesicht schlagartig rötete und er nach Atem schnappte, als hätte er einen akuten Allergieschock.
»Das ist die Höhe!«, brüllte er. »Ich habe es nicht nötig, mich derart anmaßend …«
»Haben Sie versucht, in der Nacht vom zehnten auf den elften Oktober bei Ihrer Putzfrau Rosa Maria Perez Martinez de la Cruz einzubrechen?«
Blanchard verstummte abrupt und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an.
»Sie trugen eine Skimütze und eine dicke blaue Jacke. Es gibt Zeugen dafür.«
Langsam lehnte er sich zurück und musterte mich verächtlich. »Glauben Sie wirklich, ich würde selbst bei meiner Putzfrau
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