Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
Vom Netzwerk:
fand sich ein Kurzinterview mit einer Zürcher Modedesignerin, die sich gerade eine ›längere kreative Auszeit‹ in ihrem Rustico im Tessin gönnte. Wie immer trug die Künstlerin eine ihrer eigenen Kreationen: ein zeltgroßes Stück Stoff in Schwarz, in dessen Mitte eine Öffnung für den Kopf ausgespart war. Der herabwallende Umhang ließ sie aussehen wie eine nasse Fledermaus und kaschierte alles, was man gemeinhin als ›Figur‹ bezeichnete. Als ich das Gespräch mit der Modeschöpferin überflog, durchfuhr es mich plötzlich siedend heiß: Ich hatte ihren Namen gerade erst gelesen. Und ich erinnerte mich auch genau wo.
     
    Eine halbe Stunde später drückte ich auf eine Klingel und ließ den Finger drauf, bis er zu schmerzen begann. Dann polterte ich mit den Fäusten gegen die Tür, doch nichts tat sich.
    »Rosie! Ich weiß, dass Sie da sind! Machen Sie auf! Ich muss mit Ihnen reden.«
    Pilar hatte mir am Telefon mitgeteilt, dass ihre Schwester das Spital am Mittag nach einer durchwachten Nacht am Bett ihres Neffen verlassen hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich jetzt etwas hingelegt hatte oder sogar schlief, war ziemlich groß.
    »Rosa Maria Perez Martinez de la Cruz!«
    Ich drückte wieder auf die Klingel und hoffte, dass diese modernen Loftwohnhäuser schalldicht isoliert waren. Andernfalls würde bei dem Lärm, den ich veranstaltete, wohl bald die Polizei aufkreuzen. Im Seefeld mochte man es gerne ruhig.
    »Sie brauchen sich nicht zu fürchten! Ich bin gekommen, um Sie zu retten!«, rief ich, doch was beschwichtigend gedacht war, klang wohl eher nach den Zeugen Jehovas. Ich musste meine Taktik ändern.
    »Rosie, ich weiß von den Fotos. Ich glaube, ich kann Ihnen helfen. Ich bin Privatdetektiv.«
    Es blieb still. Erschöpft lehnte ich mich gegen die Hauswand, als zögernd ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde und die Tür sich spaltbreit öffnete.
    Ängstlich blickten mich zwei dunkle Augen an. »Ein was sind Sie?«
    »Ein Privatdetektiv.«
    »Aha?«
    Es war ja nicht so, dass ich es nicht gewohnt war. Ich schluckte meine gekränkte Ehre hinunter, zu groß war die Erleichterung, dass ich Rosie gefunden hatte. Der Name der Modedesignerin war mir gleich vertraut vorgekommen, als ich ihn in der Zeitung entdeckt hatte, denn ich hatte ihn am Vortag bereits gelesen. Und zwar in Rosies Agenda. Sie hatte vergangene Woche bei der Textilkünstlerin geputzt und wusste deshalb wohl, dass diese für längere Zeit nicht anwesend sein und die Wohnung entsprechend leer stehen würde. Also hatte ich geschlussfolgert und mitten ins Schwarze getroffen.
    Ich klopfte mir insgeheim auf die Schultern. Durch Lesen zum Erfolg – ein Satz wie aus der Werbung für Erwachsenenbildung.
    Zögernd ließ mich Rosie eintreten. Ich setzte eine gleichgültige Miene auf, obwohl ich zutiefst beeindruckt war. Das Loft erinnerte in seiner Weitläufigkeit an einen Hangar, wobei der Privatjet wohl irgendwo weiter hinten, wo man ihn nicht auf Anhieb entdeckte, geparkt war. Man gab sich ja gern bescheiden in diesen Kreisen.
    Die Einrichtung war wie erwartet minimalistisch, wahrscheinlich sündhaft teuer und gewährte genügend Freiräume, damit die füllige Künstlerin mit ihren flatternden Umhängen hier lustwandeln konnte, ohne dass sie dabei die Dekoration von den Regalen gefegt hätte.
    Rosie wirkte in ihrem weiten, grell leuchtenden Kleid, dem kunstvoll nach hinten frisierten Haar und dem dramatischen Make-up, das an eine alternde Varietésängerin erinnerte, wie ein Fremdkörper in der komplett durchgestalteten Leere. Es war unübersehbar, dass sie sich in dieser Umgebung nicht wohlfühlte.
    »Erzählen Sie mir von den Fotos«, munterte ich sie auf, als wir uns gesetzt hatten.
    Ihre purpurrot angemalten Lippen zitterten, als sie zu spre chen begann: » Dios , ich wollte nichts Unrechtes tun, aber ich musste sie mitnehmen, verstehen Sie, Señor ? Ich musste, Sie müssen mir glauben, por favor . Ich habe mir gesagt, Rosa, jetzt reinigst du erst einmal das Büro, doch meine Gedanken kehrten immer wieder zu den Fotos zurück. Immer wieder, ich konnte an nichts anderes mehr denken. Sicher, ich wollte meine Arbeit richtig machen, doch ich war so … alterada , wie sagt man? Durcheinander. Also habe ich sie eingepackt.« Sie stöhnte gequält und bekreuzigte sich mehrmals. » Ay dios, que miseria , aber da war Antonia drauf, meine Nichte, und ich wollte nicht, dass sie Schwierigkeiten bekommt.« Sie sah mich wie ein waidwundes Reh an

Weitere Kostenlose Bücher