Lichterfest
schafften.
»Vijay«, begrüßte mich Manju kühl.
»Manju«, erwiderte ich im gleichen Tonfall. »Wo ist die Tasche?«
Sie deutete mit einer kurzen Bewegung des Kinns auf die Tür, die sie soeben hinter sich zugezogen hatte, und schnaubte verächtlich, als ich an ihr vorbeiging.
»Was ist denn mit euch los?«, hörte ich meine Mutter besorgt fragen, doch sie erntete nur beleidigtes Schweigen.
Die Tasche lag auf einem Tisch, der eingepfercht war von aufgestapelten Kartons. Ich holte den Umschlag hervor, als ein leises Klingeln aus dem Laden zu hören war. Hassan und der Dicke mussten eine diskrete Parkmöglichkeit für den Käfer gefunden haben.
Ein kurzer Blick in die Tasche und den Umschlag versicherte mir, dass es die richtigen Fotos waren. Erleichtert wollte ich das Kuvert wieder zurückstecken, als ich von draußen eine beherrschte Stimme hörte.
»Wo ist der Schnüffler?«
»Welcher Schnüffler?«, erwiderte meine Mutter arglos.
»Sie wissen genau, wen ich meine, Lady!«
Er sprach das letzte Wort mit einem derart schweizerischen Akzent aus, dass ich beinahe lachen musste.
Doch mir blieb nicht viel Zeit. Schnell entnahm ich dem Umschlag die Fotos und klemmte sie zwischen die Lippen, während ich, so geräuschlos es ging, eine der unzähligen Schachteln öffnete. Sie war voller kleiner Plastiktüten, die mit einer grau-braunen Gewürzmischung gefüllt waren. Garam Masala stand darauf, das würde ich mir merken können.
Plötzlich stutzte ich. Ich hatte nur einen Umschlag gefunden, denjenigen mit den Originalen darin. Wo hatte Fernando die Kopien versteckt? Erneut überprüfte ich den Inhalt der Tasche, fand jedoch nichts.
»Eben habe ich doch gesehen, wie er in den Laden reingestürmt ist«, hörte ich die Stimme aus dem Verkaufsraum. »Und da ist mir spontan eingefallen, dass der junge Mann in gewissen Kreisen als Kunstliebhaber bekannt ist und mir vielleicht ein paar Werke aus seinem Besitz zeigen möchte. Mir persönlich hat es ja vor allem die Fotografie angetan.«
Die Tasche in der Hand trat ich schnell aus dem Lagerraum.
Schluep hatte sich heute für ein schwarz-weiß kariertes Halstuch entschieden, Mantel sowie Hut waren dieselben.
»Her mit der Tasche«, nuschelte er und kam mit energischen Schritten auf mich zu.
»Wie bitte? Ich verstehe Sie so schlecht, Herr Schluep. Vielleicht liegt das an dem Stofffetzen vor Ihrem lieblichen Antlitz.«
Einen Moment lang blinzelte er irritiert, dann riss er sich entschlossen den Schal vom Gesicht.
»Die Tasche«, forderte er ungeduldig.
Ich händigte sie ihm widerstandslos aus. Hastig nestelte er den Beutel auf, dann riss er den Kopf hoch und sah mich misstrauisch an, bevor er den Umschlag herausangelte. Er spähte kurz hinein, kniff die Augen zusammen und entnahm ihm langsam den Stapel Papiere, den ich behelfsmäßig hineingestopft hatte.
Ich lächelte verkrampft. Mein Plan funktionierte nicht einmal ansatzweise.
»Bestellformulare? Kumar Enterprise? Was soll das?« Er kam drohend auf mich zu. »Wo sind die Fotos?«
Ich lächelte immer noch, während mein Gehirn auf Hochtouren arbeitete. Ich wünschte mich plötzlich mit einem großen Glas Amrut vor den Fernseher, doch ich hatte keine Gelegenheit mehr, den passenden Film auszusuchen. Schluep stieß mich grob zur Seite und riss die Tür zum Lagerräumchen auf. Ich hörte einen unterdrückten Fluch.
Schon schoss er wieder heraus und packte mich unsanft am Kragen: »Du sagst mir jetzt auf der Stelle, in welcher dieser verdammten Kisten du die Fotos versteckt hast.«
Ich sah ihm in die Augen und wusste mit einem Mal, was die linke Politikerin gemeint hatte. Reptilartig. Unheimlich. Eiskalt, ergänzte ich.
»Ich denke nicht daran«, erwiderte ich gepresst.
Mit einem heftigen Stoß, der mich gegen ein Regal schleuderte, ließ Schluep von mir ab. In der nächsten Sekunde war er bei Manju, die wie erstarrt vor der Eingangstür stehen geblieben war, und hielt sie mit eisernem Griff fest.
»Vijay!«, schrie meine Mutter entsetzt, als sich Schluep blitzschnell vorbeugte und den Handtacker schnappte, der immer noch auf dem Verkaufstresen lag, um ihn Manju an den Hals zu drücken.
»Wenn du nicht sofort die Bilder rausrückst, kriegt die Lady hier ein Piercing, wie du noch nie eins gesehen hast!«
Schon wieder diese lächerliche Aussprache. Die VPRS täte gut daran, Englischkurse für ihre Kadermitglieder als obligatorisch zu erklären.
»Worauf wartest du noch?«, zischte er.
Rückwärts ging ich
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