Lichterfest
Eingangstür beinahe erreicht hatten, schreckte Schluep auf und begann sich zu wehren. Er strampelte wild und wand sich, worauf Hassan unwillig schnaubte und erneut mit der Faust ausholte. Im nächsten Moment sackte der Politiker mit einem erstaunten Laut zusammen.
Hassan hob ihn hoch und warf ihn sich wie einen Sack Kartoffeln über die Schulter. »Du kannst ihn wiederhaben, wenn ich mit ihm fertig bin.«
Schwach lächelnd winkte ich ab. »Kein Bedarf.«
Der Dicke blinzelte mir zu und grinste schmierig, dann folgte er Hassan mit eiligen Schrittchen.
»Alles klar?«, fragte ich die beiden Frauen, die das Geschehen bestürzt mitverfolgt hatten, während ich mich mühsam am Regal hochzog. Mein Rücken fühlte sich an, als wäre er harpuniert worden, bei jeder Bewegung schoss Schmerz durch meinen Körper. Nur mit äußerster Willenskraft konnte ich aufrecht stehen bleiben. Meine Mutter schlug die Hände vor den Mund und stürzte auf mich zu. Kraftlos schob ich sie weg und schleppte mich in den kleinen Raum, wo ich die Fotos aus der Kiste holte.
»Ich bin dann mal im Bett«, sagte ich und ignorierte Manjus Blick. Mit einem Mal fühlte ich mich todmüde.
»Brauchst du etwas, Betaji? «, flüsterte meine Mutter, doch ich schüttelte nur den Kopf.
Sie warf mir einen besorgten Blick zu. »Ich habe Verbandszeug da. Soll ich wirklich nicht …?«
»Nein, Ma, alles, was ich jetzt brauche, ist Ruhe.«
»Hast du Hunger?«
Konsterniert sah ich meine Mutter an. Ich hätte nicht annähernd darüber Auskunft geben können, wie meine Bedürfnisse jenseits des dringenden Verlangens nach Schlaf gerade geartet waren.
Sie nickte erleichtert, froh, etwas tun zu können, und begann eifrig, Samosas in Alufolie zu packen und etwas Chutney in ein kleines Plastikgefäß zu füllen.
Dankbar nahm ich die mit Hackfleisch, Kartoffeln und Erbsen gefüllten Teigkrapfen entgegen. Trotz allem hatte ich wohl die beste aller Mütter. Vielleicht müsste ich ihr das mal sagen. Aber nicht heute, nicht jetzt.
An der Tür drehte ich mich um. Der entstandene Schaden hielt sich in Grenzen, die Lichter blinkten immer noch Alarm, nur roch es jetzt im ganzen Laden penetrant nach Whisky.
Nicht einmal diese Tatsache vermochte mich zu beleben.
Donnerstag
Wie ein gebrechlicher Greis stieg ich in den Bus ein. Meine Beine fühlten sich stocksteif an, jede noch so kleine Bewegung jagte Schmerzwellen durch meinen Körper. Ich war so lädiert, dass ich für die Fahrt zu Blanchard sogar auf meinen Käfer verzichten musste. Aber Hassan hatte ihn mir sowieso noch nicht zurückgebracht.
Zwei junge Frauen, die mit ihren Einkaufstüten an der Bustür standen, wichen erschrocken zurück, als sie mich sahen. Meine Nase war angeschwollen, ich hatte Blutergüsse am ganzen Oberkörper und zwei besonders farbenfrohe im Gesicht. Die Schnittwunden an meinem Rücken brannten zwar immer noch, doch die Schmerzen wurden schon schwächer, was nicht unwesentlich mit den beiden morphiumhaltigen Tabletten zusammenhing, die ich kurz zuvor mit etwas Amrut hinuntergespült hatte. Manchmal war es ganz praktisch, in diesem Quartier zu leben. Wenn man bloß die richtigen Leute kannte, kriegte man rezeptpflichtige Medikamente noch vor dem Frühstück geliefert.
Ich fühlte mich etwas schläfrig und verspürte eine leichte Übelkeit, die wohl von den Tabletten verursacht wurde. Doch vor allem war ich unzufrieden. Zwar war ich endlich in den Besitz der brisanten Fotos gelangt und hatte damit auch Blanchards zweiten Auftrag abgeschlossen – doch das erfüllte mich keineswegs mit Genugtuung. Noch immer hatte ich keine Ahnung, wo die Kopien der Fotos gelandet waren. In der Tasche waren sie jedenfalls nicht gewesen. Und an die Presse hatte Fernando sie kaum weitergeleitet, man hätte sie längst veröffentlicht. Ein gefundenes Fressen, das sich kein Chefredakteur hätte entgehen lassen. Seufzend holte ich die Bilder aus dem Umschlag, um sie mir auf der Fahrt etwas eingehender anzusehen.
Die Übergabe der Fotos an Blanchard verlief reibungslos und kühl. Belämmert stellte ich fest, dass der Medientycoon mich nicht einmal Platz zu nehmen bat, sondern mich in der Eingangshalle warten ließ, während er den Scheck ausstellte. Wie es schien, war er froh, nichts mehr mit mir zu tun haben zu müssen. Mir ging es genauso.
Auf der Rückfahrt legte ich einen kleinen Zwischenhalt bei der Postfiliale am Limmatplatz ein, um das Honorar sogleich einzuzahlen und es damit vor dem üblichen
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