Lichterfest
Schicksal zu bewahren, das jegliche Geldbeträge bei mir ereilte: Sie versickerten, ohne dass ich genau hätte sagen können, wofür ich die Kohle ausgegeben hatte. Also hatte ich beschlossen, den zwar verständnisvoll-feinfühlig formulierten, aber trotzdem nervigen Mahnbriefen des Steueramts Gehör zu schenken und die Summe zähneknirschend zu überweisen.
Nachdem ich eine Wartenummer aus dem Automaten gezogen hatte und darauf wartete, dass meine Zahl auf der Anzeige über den Schaltern erschien, blickte ich durch die hohen, mit Gittern bewehrten Fenster hinaus auf den etwa fünfzig Meter entfernten Limmatplatz. Die Tramstation war erst kürzlich komplett neu konzipiert worden. Wie ein vor Jahrzehnten gestrandetes Ufo sah sie jetzt aus, durch dessen Dach sich bereits die ersten Bäume ihren Weg ans Licht bahnten. Nachts, erhellt von kühlem Neonlicht, sah das Gebäude noch viel futuristischer aus.
Allmählich konnte ich jedoch wieder klar denken. Mein Blick streifte die Leute, die vor der Schiebetür am Geldautomaten Schlange standen. Mit einem Mal sah ich deutlich vor mir, was sich hier am Samstagabend abgespielt hatte.
Obwohl ich den Ablauf bereits etliche Male durchgegangen war, erschloss sich mir erst in diesem Moment, weshalb Schluep Fernando nicht schon erwischt hatte, während dieser an der Station auf die Straßenbahn gewartet hatte.
Denn Fernando hatte sich in sicherer Entfernung bei der Post versteckt, wahrscheinlich hinter einem der Pfeiler, die das Vordach stützten und von wo aus er die Tramstation bestens einsehen konnte. Er hatte ja gewusst, dass er verfolgt wurde. Hier war er mit ziemlicher Sicherheit auch die kopierten Fotos losgeworden, denn vor dem Postgebäude befand sich ein Briefkasten. Hatte nicht Stefan, der Jusstudent, der im Rothaus Nachtschicht schob, erwähnt, dass Fernando hastig etwas auf einen Umschlag gekritzelt hatte? Dabei konnte es sich nur um eine Adresse gehandelt haben, deshalb hatte er auch nur einen Umschlag in der Tasche seines Freundes Hassan verstaut. Denjenigen mit den Originalfotos. Die Frage war, wohin er die Kopien geschickt hatte.
Ich blickte erneut zur Tramstation. Fernando musste ausgeharrt haben, bis Schluep des Wartens überdrüssig geworden war. Anschließend hatte er sich in die Straßenbahn gesetzt und war die drei Stationen bis zum Escher-Wyss-Platz gefahren. Wahrscheinlich hatte Schluep ihm, nachdem er Fernando nicht entdeckt hatte, in der Nähe aufgelauert und war dann ebenfalls in das Tram gestiegen. Fernando gelang es gerade noch, die Originale bei seinem Kumpel Hassan zu verstecken, den er wahrscheinlich zuvor per Telefon ausfindig gemacht hatte.
Ich spürte, dass irgendwo in all den Informationen, die ich zu dem Fall zusammengetragen hatte, ein Hinweis stecken musste, der mich zu den Fotos führen würde. Ich wusste nur nicht, wo ich mit der Suche beginnen sollte.
Nachdenklich sah ich einer älteren Frau zu, die vor dem Kopiergerät in der Ecke stand und umständlich ein Dokument einlegte. Dann kramte sie Kleingeld aus ihrer Börse, ließ es in den dafür vorgesehenen Schlitz fallen und drückte zögernd den Knopf. Leises Rauschen bezeugte, dass der Apparat das Schriftstück kopierte.
Das Geräusch erinnerte mich an Stefan, den Nachtportier im Rothaus. Hatte er nicht erwähnt, dass Fernando längere Zeit im Büro der Direktorin gewesen war und er erst dann den Kopierapparat gehört hatte?
Ein Klingeln drängte sich in mein Bewusstsein. Doch erst als es erneut ertönte, blickte ich auf und erkannte, dass meine Nummer auf der Anzeige blinkte. Ich starrte wie gebannt darauf. Plötzlich war alles klar. Ich drängte mich durch die wartende Menschenmenge zum Ausgang. Das Steueramt musste warten.
Die Rezeption war verwaist, als ich das Hotel Rothaus durch den Eingang im Innenhof betrat. Aus dem Lokal nebenan drangen leise Stimmen und das helle Klirren von Besteck. Die Mitarbeiter machten gerade Essenspause vor dem Mittagsservice, nahm ich an. Unschlüssig blieb ich stehen. Ich hatte die Hand bereits erhoben, um die Klingel auf dem Empfangstresen zu betätigen, als mir am oberen Ende der Treppe, die in den ersten Stock führte, eine halb offene Tür auffiel.
Ich zog die Hand zurück und ging ein paar Stufen hinauf. Direktion stand auf dem mattsilbernen Schild, das neben der Tür befestigt war. Durch den Spalt war ein Kunstdruck an der Wand zu erkennen, ein Monet, wie mir schien. Auf dem Tisch darunter stand ein Computer, dessen Bildschirm zwei
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