Lichterfest
den Mund, um Hassan zu warnen, doch ich brachte keinen Ton heraus. Unbeirrt hielt er auf das Ende des Straßenstücks zu. Ich wusste nicht, ob er die Gefahr erkannt hatte oder ob in der türkischen Kultur so etwas wie eine grundsätzliche Gleichgültigkeit dem eigenen Leben gegenüber herrschte.
Jetzt setzte sich der Bus langsam in Bewegung. Er machte einen kleinen Schlenker nach rechts, um in das einspurige Nadelöhr einzubiegen, und kam uns direkt entgegen, während Hassan mit ungebremster Geschwindigkeit auf ihn zuhielt. Er blinzelte kurz, woran ich ablas, dass er den Bus jetzt gesehen haben musste, doch weder bremste er noch zog er eine der Querstraßen als Ausweichmöglichkeit in Betracht. Keinen Gegenverkehr erwartend und schon gar keine Geisterfahrer, beschleunigte der Busfahrer ebenfalls. Die beiden Fahrzeuge rasten jetzt direkt aufeinander zu. Hassan drückte das Gas ganz durch. Ich sah die Panik im Gesicht des Busfahrers, als er die Gefahr erkannte, und ich hätte gebetet, wäre mir bloß etwas Kurzes, der Situation Angemessenes eingefallen.
Der Bus bremste jäh ab und schlitterte hupend auf uns zu, während der hintere Teil, derjenige nach dem Gelenk, ausscherte und beinahe quer zur Fahrbahn stand.
Der Dicke quietschte auf dem Rücksitz und Hassan stieß einen türkischen Fluch aus, bevor er im letzten Augenblick das Steuer herumriss. Holpernd sprang der Käfer rechtsseitig auf den Gehsteig, der Bus schlingerte weiter und geriet bedenklich in Schräglage. Ich sah den Fahrer das Steuer festklammern und die Augen zukneifen, dann fegte er um Haaresbreite an uns vorbei. Hassan lenkte den Wagen wieder auf die Straße zurück, die nach wenigen Metern endlich breiter wurde und uns in den legalen Bereich zurückkatapultierte.
»Ein Kratzer, Mann, und ich bringe den Busfahrer um!«, knurrte Hassan.
»Ist ja nicht mal dein Wagen!«, keuchte ich.
»Trotzdem«, erwiderte Hassan grimmig, verhielt sich aber des Weiteren erstaunlich kooperativ, als ich ihn anwies, mich sofort vor dem Laden meiner Mutter aussteigen zu lassen.
Der Puls hämmerte in meinen Ohren, als ich in das Geschäft stürmte. Hassan, der mit dem Dicken zusammen einen Hinterhofparkplatz in der Nähe suchte, hatte mir spontan angeboten, den Käfer später bei sich in der Lagerhalle zu verstecken, bis wir sicher sein konnten, dass die Polizei nicht nach dem Wagen fahndete. Ich war erleichtert, fuhren doch hellblaue Käfer nicht gerade dutzendweise in der Stadt herum.
»Was tust du denn um diese Zeit noch hier?« Erstaunt blickte meine Mutter auf mich herab.
»Dasselbe könnte ich dich fragen.«
Sie kletterte von der Leiter, legte den Handtacker auf den Tresen und betrachtete kritisch die Lichterkette, die sie soeben am Regal mit den getrockneten Hülsenfrüchten befestigt hatte.
»Am Samstag beginnt doch Diwali, das Lichterfest. Ich fand die Dekoration etwas zu spartanisch und wollte deshalb den Laden noch mit ein, zwei zusätzlichen Ketten und Lämpchen schmücken. Tagsüber kam ich einfach nicht dazu.«
Während ich die überbordende Beleuchtung betrachtete, die den Laden meiner Mutter in ein aus allen Ecken vielfarbig blinkendes Inferno verwandelte und erstaunlicherweise noch keinen der Nachbarn dazu verleitet hatte, die Feuerwehr zu rufen, erinnerte ich mich daran, dass mit den Lichtern zu Diwali den Seelen der Toten der Weg ins Land der Seligkeit gewiesen werden sollte. Ich hoffte inständig, dass diese vom grellen Blinken geblendet nicht den falschen Aufgang erwischten. Das wäre unverzeihlich gewesen. Doch erfahrungsgemäß war es sinnlos, meine Mutter darauf hinzuweisen. Inder kannten kein Zuviel hinsichtlich Kitsch.
»Hast du eine helle Stofftasche gefunden?«
Ohne zu zögern deutete meine Mutter auf den kleinen Raum im hinteren Teil des Ladens. »Trägst du jetzt so was? Sieht aus wie ein Turnbeutel.«
»Keine Sorge, ist nicht meiner.«
»Manju hat ihn beim Bodenwischen entdeckt.«
In dem Moment öffnete sich die Tür des kleinen Kabäuschens und Manju trat heraus. Ich bekam reflexartig heiße Ohren, obwohl ich meines Erachtens nichts Verbotenes getan hatte. Aber so war es mit den Frauen: Sie teilten einem Mann eiskalt mit, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollten. Aber wenn man sich dann anderweitig vergnügte, wurden sie trotzdem sauer, und am Ende war man dann derjenige mit einem schlechten Gewissen, ohne überhaupt zu wissen weshalb. Eine Meisterleistung. Ich fragte mich immer wieder, wie die Frauen das
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