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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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auf die Tür zu, während meine Hände unauffällig über den Rand des Gestelles hinter mir wanderten. Endlich kriegte ich etwas zu fassen.
    »Los, los!«, trieb mich Schluep zur Eile an und wedelte dabei mit dem Tacker herum. Das kam mir sehr gelegen.
    Kühl und hart fühlte sich die Flasche in meinen Fingern an, als ich ausholte. Sie streifte Schlueps Schulter und zerbarst klirrend, und Manju nutzte den kurzen Moment, in dem Schluep abgelenkt war, um sich aus seinem Griff zu befreien. Meine Mutter stieß einen spitzen Schrei aus und verschanzte sich zusammen mit Manju hinter dem Tresen. Beide Frauen hielten unvermittelt Rüstmesser in der Hand, die sie wie Schirme während eines heftigen Unwetters von sich streckten, während ich bestürzt zusehen musste, wie sich der Whisky bernsteinfarben über den Boden ergoss. Wieso musste sie den Amrut auch auf dieser Höhe lagern? Senföl hätte für diesen Zweck durchaus gereicht.
    Schluep fasste sich schnell und stürzte auf mich zu. Der Fausthieb traf mich in die Magengrube, und ich krümmte mich vor Schmerz. Schon wieder. Ich prügelte mich an einem einzigen Abend mehr als in den vorangegangenen dreißig Jahren insgesamt. Das war nicht mein Ding. Meine Schlagfertigkeit lag vor allem im mündlichen Bereich, doch der nützte mir jetzt gerade herzlich wenig. Die Mitglieder der VPRS waren traditionellerweise nicht gerade empfänglich für feinsinnigen Wortwitz oder subtile Ironie.
    Stöhnend richtete ich mich auf, doch ehe Schluep erneut zuschlagen konnte, hatte ich eine zweite Flasche ergriffen und hieb ihm diese über den Kopf. Sie zerbrach nicht, doch er torkelte benommen ein paar Schritte zurück, fing sich aber sogleich wieder und stürzte sich erneut auf mich. Der Amrut rutschte mir aus der Hand und zerschellte, Glasscherben splitterten über den Boden. Einen Wimpernschlag später lagen wir auf demselben und wälzten uns ineinander verkeilt auf die Eingangstür zu, wo ich ganz kurz die Oberhand gewann. Verhalten ächzend rangelten wir wie Schuljungen, während meine Mutter und Manju abwechselnd gellende Schreie von sich gaben. Doch dann änderte Schluep unvermittelt die Richtung, und ich wurde grob der Whiskypfütze und damit auch den scharfkantigen Bruchstücken entgegenbugsiert.
    Schluep war trotz seiner schlanken Statur kräftig, als Zehnkämpfer und Marathonläufer war er mir weit überlegen. Ich gab trotzdem nicht auf. Glühender Schmerz ließ mich beinahe ohnmächtig werden, als sich die ersten Scherben in meinen Rücken bohrten. Mein Hemd sog sich mit Whisky voll. Ich stieß einen unterdrückten Schrei aus, als sich Schluep ganz auf mich wälzte. Ich kriegte kaum mehr Luft. Er holte aus, doch ehe er mir die Faust ins Gesicht rammen konnte, riss ich den Arm hoch und packte sein Handgelenk. Einen Augenblick lang bewegte sich nichts mehr, doch mein Gegner war eindeutig kräftiger. Zentimeter um Zentimeter drückte er seine geballte Hand tiefer, während ich verzweifelt dagegenstemmte. Meine Muskeln zitterten und die Kräfte ließen rasch nach.
    Erst jetzt bemerkte ich entsetzt das beachtliche Scherbenstück, das Schluep mit der Faust umklammert hielt. Keuchend holte ich Atem, dann kämpfte ich verzweifelt meine andere Hand frei und legte sie um seine. Ich drückte so fest zu, wie ich noch in der Lage war. Er verzog kaum das Gesicht, einzig an der zuckenden Muskulatur um die Augen erkannte ich seinen Schmerz. Blut quoll aus seiner Handfläche und sammelte sich an der Unterseite der Faust. Dann löste sich ein erster, dicker Tropfen und fiel auf meine Wange. Schluep stöhnte gepresst, sein Gesicht lief puterrot an. Für einen kurzen Moment löste sich der Druck, doch schon warf er sich erneut auf mich und die Faust mit der herausragenden Scherbe rückte immer näher. Wenn ich den Blick darauf fokussierte, konnte ich die Bruchstelle bewundern, den feinen Staub darauf und die Whiskyschlieren, die sich auf dem Glas mit dem Blut vermischten. Nur noch wenige Millimeter fehlten, bevor die Scherbe meine Pupille zerschneiden würde.
    Ich fragte mich gerade, ob auch ein himmelblaues Glasauge zu meinem Teint gepasst hätte, als das drückende Gefühl auf meiner Brust unvermittelt nachließ und Schluep ruckartig nach hinten gerissen wurde.
    »Mitkommen!«, knurrte Hassan und versetzte Schluep einen harten Schlag gegen den Kopf. Dann packte er den Parteisekretär unsanft an den Schultern und schleifte ihn hinter sich her, als wäre er eine willenlose Puppe. Als sie die

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