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Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte

Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte

Titel: Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kuehnemann Nadine
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sich einer Ohnmacht nahe. Sie wagte nicht, noch einmal einen Blick auf den Toten im Rinnstein zu werfen. Das Bild hatte sich ohnehin in ihr Gedächtnis gebrannt. Stattdessen legte sie den Kopf auf das harte Gestein und wartete. Worauf sie wartete, wusste Jil selbst nicht. Nur Minuten später näherten sich wieder Menschen dem Schauplatz, aber Jil sah sie nicht an. Sie sprachen mit aufgebrachten Stimmen. Jil vermutete, dass es sich um Polizisten handelte. Jil achtete nicht auf ihre Worte. Einerseits hoffte sie, jemand würde sie finden und aus ihrer Starre befreien, andererseits fürchtete sie, man könnte sie als Zeugin verhören wollen. Unter keinen Umständen wollte Jil die schrecklichen Erinnerungen wieder lebendig werden lassen. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Mehr wollte sie heute nicht mehr tun. Atmen und leben und schlafen.
    Plötzlich packte sie etwas an den Beinen und zerrte sie von der Mauer hinunter, zurück in den Park hinein. Jil war nicht einmal imstande, einen Laut von sich zu geben. Wie ein Sack sank sie auf die Knie. Jemand stützte sie unter den Armen. Als sie den Blick hob, dauerte es eine Weile, bis sich das Bild vor ihren Augen schärfte. Cryson hockte neben ihr auf dem Boden. Sein Ausdruck war von Zorn, aber auch von Sorge erfüllt. Er fasste ihr sanft unter das Kinn und führte sein Gesicht ganz nahe an ihres heran.
    »Was hast du dir dabei gedacht?« Obwohl er flüsterte, war sein Tonfall scharf. »Kannst du nicht einmal akzeptieren, wenn man dir ein Verbot ausspricht? Was hast du gesehen?«
    Jil lehnte sich an die Mauer und zog die Knie an den Körper. Sie zitterte von den Haarspitzen bis zu den Fußsohlen. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ihr entwichen nur unverständliche Laute. Cryson packte sie an den Schultern und schüttelte sie sanft.
    »Nun komm endlich wieder zu dir. Dieses Gehabe sieht dir überhaupt nicht ähnlich.«
    Jil nahm einen tiefen Atemzug. Es kostete sie immense Kraft, ihre Gedanken zu bündeln und etwas zu sagen. »Was ist passiert? Was hat das zu bedeuten?« Ihre Stimme klang heiser.
    Cryson setzte sich neben sie. Erst jetzt bemerkte Jil, wie mitgenommen und entkräftet er aussah. Die Haare hatten sich teilweise aus seinem Zopf gelöst, ein feiner Schnitt zog sich über seine Schläfe.
    »Das waren die Vartyden. Sie lassen keine Gelegenheit aus, um uns das Leben zur Hölle zu machen.«
    Jil legte den Kopf in den Nacken und dachte nach. Jenseits der Mauer diskutierten die Polizisten noch immer. Vermutlich hatte man das Gebiet jetzt abgesperrt. Cryson und sie waren nicht mehr lange sicher.
    Unweigerlich spielten sich die Bilder erneut vor Jils geistigem Auge ab. »Weshalb bist du heute Nacht hier draußen gewesen?«, fragte sie mit zitternder Stimme. »Ich habe dich mit einer Frau gesehen.«
    Cryson wollte Jil näher zu sich heran ziehen, doch sie stieß ihn von sich weg. Er respektierte ihren Wunsch und rückte nicht nach.
    »Ach Jil, es tut mir leid, wenn es dich verletzt hat. Vielleicht kann ich dir bald erklären, wie sich die Dinge in Wirklichkeit verhalten.«
    »Im Grunde kann es mir egal sein«, sagte Jil kraftlos. »Du bist ein freier Mann.« Der anklagende Unterton in ihren Worten konnte ihm nicht entgangen sein.
    »Das mag auf dich so wirken, aber das bin ich nicht.« Er holte Luft, um weiter zu sprechen, aber seinem Mund entwich dann doch nur ein gedehnter Seufzer. »Ich bin ganz und gar nicht frei. Ich werde es dir erklären, wenn du dich von deinem Schock erholt hast.«
    »Sie werden nach den Mördern suchen.«
    »Wer, die Menschen? Sie werden niemanden ausfindig machen.«
    Jil hob den Blick und sah Cryson in die hellgrünen Augen, die nun keinerlei gelblichen Glanz mehr aufwiesen. »Die Anwohner haben doch alles gesehen.«
    Cryson zuckte die Achseln und stieß ein kurzes Lachen aus. »Jemand wird ihnen das Gedächtnis löschen. Dafür werden diese Abtrünnigen schon sorgen.«
    »Gedächtnis löschen? Das können sie?«
    Cryson sah sie an, als unterhalte er sich mit einer Schwachsinnigen. »Ja. Alle Sedharym können das. Mach dir keine Gedanken darüber. Wir…«
    Cryson hielt inne, legte den Kopf schief und lauschte. »Es kommen Menschen. Lass uns verschwinden.«
    Als sie das Geräusch eines Schlüssels im Torschloss hörten, schlichen sie lautlos wie Schatten zurück ins Unterreich.

Kapitel 3
     
    Plopp. Plopp .
    Das Geräusch von stetig tropfendem Wasser wirkte in der völligen Dunkelheit des Unterreichs so laut

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