Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
hätte.
Die Geräusche wurden lauter. Jils Verstand pochte darauf, dass sie auf der Stelle umkehrte, aber ihre Neugier hielt tapfer dagegen. Dann durchdrang ein Laut die Stille, der wie das Winseln eines Hundes klang. Im Hintergrund mischte sich ein Rauschen darunter, das klang wie die Schiffsturbinen der riesigen Dampfschiffe im Hafen von Haven.
Plötzlich griff sie ins Leere. In der Wand klaffte ein Loch. Jil tastete vorsichtig an dessen Ränder entlang und stellte fest, dass es sich um eine weitere Abzweigung des Ganges handelte. Die Laute kamen von dort. In der Ferne erblickte Jil einen schwachen rötlichen Lichtschein. Obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug, bog sie in den Gang ein und steuerte geradewegs auf die Lichtquelle zu. Endlich konnte Jil ihre Umgebung auch wieder mit den Augen erfassen. Die Decke des Ganges war niedrig, die gegenüberliegende Wand keine zwei Yards neben ihr. Der Boden bestand aus verdichteter Erde, in der Mitte wies er deutliche Trittspuren auf. Nach etwa zwanzig Yards verbreitete sich der Gang zu einem weiteren Raum. Eine Welle aus Hitze schlug Jil entgegen. Der längliche Raum wies am hinteren Ende eine Biegung auf, die Jil nicht einsehen konnte. Ein heller Lichtschein kam von dort, ebenso wie das laute Rauschen. Qualm hing in schweren grauen Schwaden unter der Decke. Der beißende Gestank nach Feuer brannte Jil in Nase und Augen. In die Wände des vorderen Raumabschnitts hatte man dicke Eisenringe geschlagen, an denen drei Hunde, zwei Pferde und mehrere Ziegen angebunden waren. Als sie Jil witterten, wurden sie unruhig, bellten, wieherten und meckerten, bis Jil die Ohren schmerzten. Der Lärm hallte durch die Gänge und würde schon sehr bald Aufmerksamkeit erregen. Unwillkürlich wich Jil rückwärts gehend ein paar Schritte zurück, bis sie gegen etwas Weiches prallte. Sie fuhr herum und blickte direkt in das Gesicht eines Mannes, der sie stirnrunzelnd betrachtete. Jil hatte nicht bemerkt, wie er sich genähert hatte. Die Sedharym waren schnell und lautlos wie Schatten. Die Haare des Mannes waren kurz geschoren, sein Körperbau kompakt. Er trug ein kurzärmeliges Hemd und eine derbe Baumwollhose, beides mit Dreck und Ruß beschmiert. Sein Gesicht war breit und kantig, die Augen zuckten wie die einer Echse hin und her.
»Was hast du hier verloren?«, knurrte er. »Du bist doch Crysons kleine Gespielin, oder?«
»Ich hatte nicht die Absicht, hierher zu gelangen«, sagte Jil. Sie bemühte sich, selbstsicher zu klingen. »Wo bin ich hier gelandet?«
»Im Maschinenraum. Was glaubst du, wozu die ganzen Rohre durch dieses Dreckloch laufen? Irgendwie müssen wir schließlich auch die Fahrstühle antreiben. Ich bin Liran, mir obliegt die Verwantwortung für die Geräte. Und außerdem achte ich darauf, dass keine närrischen Gören hier herumstreunern.« Der schmierige Kerl warf Jil einen tadelnden Blick zu und wischte sich dann mit dem Handrücken Schweiß von der Stirn. Es war wirklich unglaublich heiß hier unten.
Jils Blick schweifte über die armen Kreaturen, die in dieser Hitze angekettet waren. »Und was ist das hier für ein Zirkus?«
»Wenn du die Tiere meinst, das sind unsere Notvorräte.«
Jil schüttelte ungläubig den Kopf. »Vorräte? Willst du mir etwa weismachen, ihr esst Hunde und Pferde?«
Sein amüsiertes Lachen vermischte sich mit dem Gebell der Hunde. »Essen? Nun ja, wenn du es so bezeichnen möchtest.«
Jil spürte Wut in sich aufsteigen. Nichts hasste sie mehr, als verlacht zu werden. »Wie nennst du es denn für gewöhnlich, wenn man sich Fleisch in den Mund steckt? Ich nenne das essen.«
Liran spuckte neben sich auf den Boden. »Kindchen, was hat Cryson dir bloß über uns erzählt? Ich dachte, du bist die Auserwählte, die uns aus dieser Misere befreien soll.« Das Wort klang aus seinem Mund nach Ironie und Missbilligung. »Du willst doch unser Licht zurückbringen, und da weißt du noch nicht einmal, was es damit auf sich hat? Es ist unsere Nahrung.«
Jil dachte einen Augenblick lang nach. Sie hatte Cryson oder einen der anderen Sedharym tatsächlich noch nie etwas essen sehen. »Und was hat es dann mit diesen Viechern hier auf sich?«
»Nun ja, wenn man über keine eigene innere Lebensenergie verfügt, weil die Vartyden einem die artgerechte Nahrung verwehren, sucht man eben nach Alternativen.« Lirans Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen. Mittlerweile hatten sich die Tiere wieder beruhigt.
Jil fuhr sich durch die Haare. Ihre Gedanken
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