Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
antwortete Emils Stimme vom Bock des Karrens.
»Dann gute Fahrt!«, rief Geri, als sich der Karren polternd in Bewegung setzte. Yossi öffnete die breite Flügeltür, die auf die Straße hinaus führte. Ehe sich Jil versah, rumpelte der Wagen quer durch Haven. Mittlerweile tobte das Leben in der Stadt, die Geschäfte waren geöffnet. Straßenbahnen, Pferdekutschen und geschäftige Menschen eilten an ihnen vorüber. Niemand beachtete den Heuwagen oder schöpfte einen Verdacht.
Emil steuerte den Karren geradewegs auf den Hafen zu. Der Geruch des Meeres vermischte sich mit dem penetranten Heugeruch. Jil quälte ein permanenter Niesreiz und die trockenen Halme kratzten auf der Haut. Wie Emil es vorhergesagt hatte, war die Hitze beinahe unerträglich. Die Luft unter der Plane erwärmte sich sehr bald. Jils Augen tränten, Schweiß rann ihr das Gesicht hinab. Sie ärgerte sich darüber, dass sie den dicken Mantel zuvor nicht ausgezogen hatte. Jetzt klebte der Stoff an ihren schweißnassen Armen. Jil schaffte es, sich die Kapuze vom Kopf zu streichen, ohne dass sich ihre Bewegungen auf die Plane übertrugen. Doch die Erleichterung, die sie im ersten Moment gespürt hatte, währte nur kurz. Schon wenige Augenblicke später dachte sie erneut, sie müsse sterben. Ihre Zunge klebte an ihrem Gaumen.
Was mache ich hier bloß ?
Diese Frage stellte sie sich immer und immer wieder. Sie war kurz davor, alles abzubrechen, als der Wagen plötzlich anhielt. Das Geräusch der Wellen, die sich gegen das Ufer warfen, drang an Jils Ohren. Sie hatten den Hafen erreicht. Der Karren wackelte, als Emil vom Kutschbock sprang. Jil hörte, wie er sich mit einem anderen Mann unterhielt. Wenn Jil jetzt von der Ladefläche sprang, hätte sie vermutlich nicht nur das Leben der Sedharym, sondern auch ihr eigenes unwiderruflich zerstört, was für Jil das schwerwiegendere Argument war, es nicht zu versuchen. Jil malte sich bereits aus, wie sie in ihrer Gefängniszelle um Gnade winselte. Sie hatte eine lebhafte Fantasie.
Die Stimmen entfernten sich. Minutenlang blieb es still. Jil hob die Plane etwas an, nur gerade so weit, dass sie über die Kante der Ladefläche spähen konnte. Ein Schiff lag an der Kaimauer vor Anker. Eigentlich war es eher ein Boot und hatte rein nichts gemein mit den prachtvollen Dampfschiffen, die einmal wöchentlich ablegten und die Menschen in ferne Länder brachten. Dies musste ein anderer Teil des Hafens sein. Das Boot war schmucklos und lag tief im Wasser. Das Deck war groß, sicherlich fast fünfzig Yards lang. Es standen schon andere Karren darauf, auch Pferde und allerhand Vieh. Zwei Masten ragten in den Himmel, die Segel hingen schlaff herab. Ein breiter Steg führte vom Deck ans Ufer. Ein Mann war gerade damit beschäftigt, einen Esel am Halfter hinter sich her zu ziehen, um ihn an Bord zu bringen. Dann setzte sich der Heuwagen ebenfalls wieder in Bewegung. Vermutlich hatte Emil seine gefälschten Papiere vorgezeigt und man hatte sie für gültig erachtet.
Der Steg ächzte und knackte unter dem Gewicht des Wagens. Die Pferde schienen diese Art der Beförderung gewohnt zu sein, denn sie ließen sich anstandslos an Bord führen. Ob es noch mehr blinde Passagiere auf dem Boot gab? Jil beäugte die anderen Wagen, konnte jedoch nichts Verdächtiges feststellen. Ein Mann näherte sich. Jil konnte durch den schmalen Spalt unterhalb der Plane nur seine Brust erkennen. Er blieb direkt neben ihr stehen. Jil bemühte sich, ganz still zu liegen, selbst das Atmen beschränkte sie auf ein Minimum. Der Mann war nicht Emil. Er trug einen Matrosenanzug und roch nach Meer und Fisch. Jils Herz setzte für einen Schlag aus, als der Seemann nach der Plane griff, unter der Jil hockte. Sie bereitete sich innerlich darauf vor, von der Ladefläche zu springen und das Weite zu suchen. Sie lag zwar versteckt unter dem Heu, aber einem geschulten Blick würde nicht entgehen, dass ein Augenpaar hinauslugte. Jils Muskeln spannten sich an, ihr Atem ging nun schnell und flach.
Ein Luftzug strich über ihr Gesicht, als der Mann eine Ecke der Plane anhob. Einige qualvolle Momente verstrichen, in denen nichts geschah. Dann senkte sich die Plane wieder. Jil hörte die Schritte des Matrosen, der sich von dem Karren entfernte. Ein Gefühl unendlicher Erleichterung durchflutete Jil. Mittlerweile war sie komplett von Schweiß durchnässt.
Weshalb tue ich mir das nur an ?
Wieder einmal stellte sie sich diese Frage, aber diesmal wollte sie sich
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