Lichtfaenger 01 - Die Auserwaehlte
selbst eine Närrin. Niemand hatte Geld zu verschenken. Es sei denn… Hatte Gott ihre Gebete nun doch erhört? Jil hätte sie für einen solch albernen Gedanken verlacht. Dana spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg, obwohl Jil und auch sonst niemand hier war, der sie auslachen konnte.
Einen Moment lang spielte Dana mit dem Gedanken, das Geld einfach einzustecken und später zu behaupten, jemand hätte es von der Schwelle gestohlen, doch sie brachte den Mut dazu nicht auf. Wenn das Geld tatsächlich ein Geschenk Gottes war, dann wäre es eine abscheuliche Tat gewesen, es für sich selbst zu behalten. Seufzend zog sie einen Schlüssel aus ihrer Rocktasche, öffnete die Tür und legte das Geld auf die Anrichte. Dann ging sie zurück zu ihrem Wagen und schob ihn auf den Bürgersteig. Ihr Magen knurrte, sie hatte an diesem Morgen noch nichts gegessen.
Der Griff der Deichsel schnitt sich in ihre Handflächen. Sie kam nur langsam voran. Die Straßen von Garnick waren zu großen Teilen nicht asphaltiert und glichen eher einer Schotterpiste als einer Straße. Ärger, Wut und Selbstmitleid brodelten in Dana, bis ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie war wütend auf ihre Schwester. Weshalb hatte sie Dana und ihren Vater im Stich gelassen? Vielleicht war sie tot. Das schlechte Gewissen angesichts ihrer eigenen Herzlosigkeit überlagerte sämtliche anderen Emotionen und führte schließlich dazu, dass sie sich wieder beruhigte. Sie hatte kein Recht dazu, schlecht über ihre Schwester zu denken, so lange man sie weder tot noch lebendig gefunden hatte. Sie war einfach wie vom Erdboden verschluckt.
Voller neu entfachtem Ehrgeiz zog Dana noch kräftiger am Griff, der Wagen rumpelte über Stock und Stein und schwankte bedenklich zu beiden Seiten hin.
Der Schweiß rann ihr den Rücken hinab, als sie endlich den Marktplatz von Garnick erreichte. Wie erwartet waren viele Menschen unterwegs. Mütter mit ihren Kindern und Händler mit Karren und Pferdekutschen tummelten sich auf der Straße rund um den Platz. Dana wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und zog noch ein letztes Mal kräftig am Griff, um die Karre auf die Straße zu ziehen, die zwischen ihr und dem Marktplatz lag.
»Pass auf!«
Dana wusste nicht, wer die Warnung ausgesprochen hatte, aber sie kam ohnehin zu spät. Als sie den Kopf hob, sah sie direkt vor sich einen stämmigen Ackergaul, dessen Augen vor Panik weit geöffnet waren. Das Tier buckelte und stieß mit der Brust gegen ihren Karren. Der Gaul war vor eine kleine offene Kutsche gespannt, der Kutscher und die beiden Passagiere reckten verärgert die Fäuste in die Luft. Dana schlug die Hände vor ihr Gesicht und stieß einen spitzen Schrei aus. Der kleine Wagen kippte zur Seite, klirrend fielen einige Honiggläser heraus. Sie zerbarsten augenblicklich. Das Pferd geriet daraufhin noch mehr in Panik und buckelte heftiger. Jemand zog Dana an der Schulter zurück. Das Tier preschte nach vorne und trampelte mit seinen gewaltigen Hufen über Danas kleinen Holzwagen, der unter seinem Gewicht zersplitterte. Noch mehr Honig ergoss sich auf die Straße. Dana war wie gelähmt vor Schreck. Sie brachte es nicht einmal fertig, einen klaren Gedanken zu fassen, bis einige Leute damit begannen, den zersplitterten Wagen von der Straße zu räumen. Der Kutscher hatte indes das Pferd beruhigen können, sprang vom Bock und eilte mit wutverzerrtem Gesicht auf Dana zu.
»Kannst du nicht aufpassen? Wir hätten verletzt werden können!«, brüllte er. Dana starrte ihn mit offenem Mund an, unfähig, etwas zu sagen.
Der Mann drehte um und stieg zurück auf seinen Kutschbock, sein Gezeter und Gemecker gellte über die Straße.
»Hilf wenigstens, die Scherben aufzusammeln«, sagte ein anderer Mann.
Wie in Trance bückte Dana sich nach den Überresten ihrer Verkaufsware. Die meisten Kerzen waren durchgebrochen und auch von den Honiggläsern war nicht viel mehr als eine klebrige und mit Scherben gespickte Pfütze übrig geblieben. Sie spürte, wie ihr Blut vor Scham ins Gesicht schoss. Jemand half ihr, den zerstörten Wagen von der Straße zu schaffen und die Scherben in einen nahe gelegenen Abfalleimer zu werfen. Dana traute sich nicht einmal, ihrem Helfer ins Gesicht zu sehen. Sie murmelte ein leises Danke, wandte sich ab und machte sich schnellen Schrittes davon. Den Wagen ließ sie zurück. Unter keinen Umständen wollte sie damit auf dem Rückweg Aufmerksamkeit erregen. Niemand sollte wissen, wo die
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