Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
entschuldigen.« Die Worte klangen harscher als beabsichtigt. »Du hast mein Leben gerettet.«
Nola nickte stumm und gemeinsam traten sie hinaus in das Labyrinth von Varyen. Jil schritt mit gesenktem Kopf neben Nola her. Sie war zwar froh, nun endgültig wieder in ihr altes Leben entlassen zu werden, jedoch wurde die Freude gedämpft durch das unangenehme Gefühl des Versagens. Es war nicht bloß der unerfüllte Auftrag, der Jil schwer im Magen lag, denn sie hatte sich schon längst mit dem Gedanken abgefunden, dass Cryson im Unrecht war. Jils Misserfolg auf persönlicher Ebene empfand sie als sehr viel demütigender. Nicht nur, dass sie den Sedharym ihre Lügengeschichten abgekauft hatte, sondern auch, dass sie sich von einem Mann von ihrer Bahn hatte abbringen lassen. Es war eine Erfahrung, auf die Jil gerne verzichtet hätte. Ja, sie liebte Ray, zumindest in diesem Punkt konnte sie sich nicht weiterhin selbst belügen. Er hatte ihr auf eine gnadenlose Art und Weise den Spiegel vorgehalten und ihr vor Augen geführt, dass sie ein schlechter Mensch war, der seine eigene Familie aus Selbstsucht verkaufen würde. Jil fühlte sich hundeelend. Sie verdiente es doch nicht besser, als dass man sie hinauswarf wie einen räudigen Köter.
Nola öffnete die schwere Tür, die auf das brach liegende Grundstück in Haven führte. Wortlos begleitete sie Jil bis an den oberen Rand der Treppe. Es war helllichter Tag, nur wenige Schleierwolken zogen über den Himmel. Jil blinzelte, ihre Augen tränten. Sie merkte Nola an, dass sie sich unwohl fühlte und nicht wusste, ob und wie sie sich verabschieden sollte. Sie klopfte Jil auf den Oberarm und lächelte.
»Nun, für gewöhnlich käme jetzt der Augenblick, in dem ich dir die Erinnerungen nehmen müsste, doch ich schätze, den können wir getrost überspringen.«
Jil schaffte es nicht, ihr Lächeln zu erwidern. Sie hatte ihren Humor und ihre scharfe Zunge irgendwo in den Gängen von Varyen zurückgelassen.
»Dann gehe ich jetzt. Ich wünsche dir alles Gute«, sagte sie mit monotoner Stimme. Ihr fiel nichts Besseres ein, das sie hätte sagen können. Nola drehte sich um, stieg die Treppe hinab und verschwand in der Tür, die mit einem dumpfen klong hinter ihr zufiel. Als Jil sich seufzend umdrehte, wäre ihr beinahe das Herz stehen geblieben. Keine zehn Zoll vor ihr stand plötzlich Lesward und blickte mit ausdrucksloser Mine auf sie hinab. Er musste sich schnell und lautlos wie ein Schatten angeschlichen haben.
»Hab ich dich etwa erschreckt?« In seinen Augen funkelte pure Boshaftigkeit. Jil hasste ihn. Sie antwortete nicht, sondern bemühte sich, ihm in die Augen zu sehen und sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Er musste gewusst haben, dass Nola sie zu diesem Ausgang bringen würde. Jils Blicke zuckten zur Seite. Außer wuchernden Gebüschen und hohen Bäumen gab es nichts und niemanden, der ihr helfen konnte, falls es zum Kampf kommen sollte. In der Ferne hörte sie das Geklapper der Pferdehufe auf dem Asphalt. Nur wenige Yards neben ihr tobte das Stadtleben von Haven.
»Keine Sorge, ich werde dich nicht töten. Nicht jetzt.« Lesward grinste schief. »An deiner Stelle würde ich mich jedoch nicht darauf verlassen, dass ich es mir nicht noch einmal anders überlege.« Er senkte die Stimme, bis sie nicht viel mehr als ein Flüstern war. »Ich werde dich finden, überall.« Er kicherte schadenfroh.
»Was willst du von mir?«, fragte Jil mit fester Stimme, obwohl ihre Knie zitterten.
»Ich wollte dich fragen, ob du ein Mädel kennst, das Dana heißt.«
Im ersten Moment wusste Jil nicht, ob sie ihn tatsächlich richtig verstanden hatte. Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Hatte er tatsächlich nach ihrer Schwester gefragt?
»Wie ich deinem schwachsinnigen Gesichtsausdruck entnehme, gehe ich davon aus, dass du sie kennst«, sagte er.
»Woher kennst du sie?«, presste Jil hervor.
Lesward verschränkte die massigen Arme vor der Brust. »Das ist unwichtig. Ich habe mich bloß gefragt, wie ein so naives Mädel deine Schwester sein kann. Sie ist so anders als du.«
»Was hast du mit ihr gemacht?« Jil spürte, wie ihre alten Kräfte zurückkehrten. Wut überlagerte ihre Angst vor dem hünenhaften Sedhar. Am liebsten hätte sie ihm mit der Faust gerade ins Gesicht geschlagen, wenn sie nicht genau gewusst hätte, dass seine Reaktionen zu schnell für ihre langsamen menschlichen Bewegungen waren.
»Mach dir keine Sorgen, sie lebt und es geht ihr gut. Sie schläft
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