Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
könnten. Also habe ich Magistra Broome per Tageskurier eine Nachricht übermitteln lassen.« Er machte eine Pause. Der Name löste bei ihr die altbekannte Reaktion auf die bloße Erwähnung von Magiern und Magie aus – verinnerlicht in jahrelangem Schweigen. »Ich habe sie gebeten, sich mir mit so vielen Leuten wie möglich anzuschließen.«
Da stellte sie fest, dass der Gedanke daran, nachtgeborenen Magiern offen zu begegnen, sie nicht länger bestürzte. Schließlich war das Schlimmste bereits geschehen. »Was haben Sie mit Phineas Broome gemacht?«
Vladimer grinste breit. »Wie kommen Sie darauf, dass ich etwas gemacht hätte?«
Vor allem wegen dieses Grinsens. »Ich habe das Schloss mithilfe von Magie geöffnet. Und auch Sie habe ich mit Magie ausgeschaltet.« Bei der Erinnerung daran kniff er die Lippen zusammen. »Doch er hat keinen Alarm geschlagen. Ist er tot?«
»Nein«, sagte Vladimer. »Er hat auf die Stimme der Vernunft gehört … oder besser: auf meine Stimme, denn ich habe ihn daran erinnert, aus welchem Grund er sich in Mycenes Dienste gestellt hat.« Er machte eine Pause für den Fall, dass sie etwas fragen wollte, doch Telmaine wollte verflucht sein, wenn sie darauf einginge. »Entgegen seinen Behauptungen, er würde sich um die Bedrohung des Herzogtums durch Schattengeborene sorgen, wollte er doch außerdem seinen Revolutionskollegen Waffen zuspielen. Ich konnte ihn davon überzeugen, dass ich einen solchen Vorwurf glaubhaft vorbringen könnte, ob er nun zuträfe oder nicht. Ich habe sein Schweigen mit dem meinen erkauft.«
Er nippte an seinem Apfelwein, runzelte ob des Geschmacks die Stirn oder vielleicht auch nur ob seiner Gedanken. »Er behauptet steif und fest, er sei nach meinem Gespräch mit ihm und seiner Schwester zu Mycene gegangen, weil Ihre Anwesenheit ihn verstört habe.«
Sie wollte weder an dieses Gespräch noch an Phineas Broome oder den schattengeborenen Makel denken, der ihr anhaftete. »Was also können Sie und ich und Magistra Broomes Magier Ihrer Meinung nach ausrichten?«
»Die Grenzlande besitzen ein stehendes Heer und eine gut ausgebildete Reserve, die so groß ist, wie es die Schönung der Zahlen erlaubt.« Wessen? Das Beschönigen von Zahlen gehörte gewiss nicht zu Ishmaels Talenten; dafür war dieser Mann viel zu offen und ehrlich. »Sollte sich dieses Aufgebot gegen die angreifenden Truppen als ungenügend erweisen, dann könnten unvermutete Verstärkungen vielleicht bessere Dienste leisten. Jedenfalls dürfte feststehen, dass wir es mit Magiern zu tun bekommen, und zwar Magiern, die Menschen entgegen ihrer Loyalität verhexen können.« Er verzog das Gesicht wie bei plötzlichem Schmerz. Nicht körperlich, dachte sie. Wäre der Schmerz körperlich gewesen, hätte sich Vladimer seinem mit Arznei versetzten Cider zugewandt.
»Falls Magistra Olivede Hearne auch kommt«, sagte Telmaine, »könnte man sie zum Palast schicken. Sie ist zwar nur Magierin dritten Ranges, aber Balthasars Schwester und hat viel mit ihm gemein.«
Er reagierte ungefähr so, wie sie auf die Erwähnung von Magiern reagiert hatte. Sie sah, wie die alte Maske des Argwohns über sein Gesicht fiel. Telmaine fauchte: »Um Himmelswillen, Vladimer, meine Magie ist – wie war Ihre Formulierung? – verschnürt wie eine Kohlroulade. Ich will gar nicht wissen, wie sehr Sie diese Befehle hassen, wie sehr Sie es hassen , Ihren Bruder zurückzulassen, obwohl er Ihnen keine Wahl gelassen hat.«
»Nein«, sagte er. »Das hat er nicht.«
Sollte Sejanus Plantageter harsch mit seinem Bruder umgegangen sein, so hatte Vladimer es nicht anders verdient. Es gab manches, was sie und er einander sagen sollten, doch es fehlte ihr die Kraft dazu. »Falls noch etwas sein sollte, kann es sicher warten, bis die Nacht kommt. Wir sind beide müde. Ich werde mich ein wenig ausruhen.«
Sie nahm ihr Glas und ließ ihn allein zurück.
Floria
Als sie den Turm der Magier zum ersten Mal in der hellen Mittagssonne sah, blieb Floria in der Tür stehen. In seinen Flanken klafften Wunden. Sein Kuppeldach hatte eine krumme Spitze, die Kuppel selbst bestand nur noch aus gebrochenen Rippen. Die aus Stein gehauenen Balkone sahen aus wie die Zähne eines alten Raufbolds, und Ziegel und Reliefs waren eingestürzt oder geborsten. In der Mittagsstille schimmerte ein bebender Dunst von Staub über der Ruine.
Ihr erster Gedanke war Keiner hat mir etwas davon gesagt – nicht Mycene, nicht Telmaine, nicht Vladimer.
Ein Schrei lenkte
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