Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
genau auf den Kutschbock. Plötzlich erschreckte sie vor blinkenden Kettenhemden und den polierten Helmen eines nahenden Trupps von Stadtwachen oder Leibgardisten, denn genau diese Leute würden sie verhaften. Sie durfte nicht zulassen, dass sie so kurz vor dem Palast festgenommen wurde, wo sie Gefahr lief, auf direktem Weg zu Fejelis gebracht zu werden. Der Anblick des Turmes und ihre hastige Flucht hatten alle Gedanken an den Verlust Isidores vertrieben. Sie hatte zu dem Mann zurückkehren wollen, dem sie ihr Leben lang gedient hatte, doch dieser Mann war nicht mehr da.
Ihretwegen.
Diese Tat hatte einen unerfahrenen Sohn zurückgelassen, der beschuldigt wurde, die unrechtmäßige Absetzung seines Vaters betrieben zu haben. Falls Telmaines Bericht stimmte und Tam diesen bestätigen konnte, war Fejelis weit unschuldiger als Floria selbst. Sie musste ihn entlasten. Das war das Mindeste.
Sie öffnete das nächstbeste Tor und schlüpfte in den Garten, lauschte dem Klirren der vorübermarschierenden Kettenhemden. Vermutlich auf dem Weg zum Palast des Erzherzogs. Sie ließ ihnen Zeit, bis sie das Ende der Straße erreicht hatten, dann schob sie den Kopf aus dem Tor.
Zumindest hatte ihr die kurze Pause wieder Kraft gegeben. Sie rannte noch eine Meile, kam sowohl an Pulks von Passanten vorüber, die sich schockierende Neuigkeiten erzählten, als auch an Leuten, die mit Mienen grimmiger Entschlossenheit ihrem Tagwerk nachgingen. Zweimal stieß sie auf kleine Gruppen, die sich über Aschehäufchen beugten. Als sie an der zweiten vorüberkam, verwischte einer der Umstehenden, seiner Kleidung nach ein Kunsthandwerkslehrling, die Asche mit seinem Fuß. Zwei seiner Gefährten rissen ihn mit sich. Er protestierte, und seine Stimme wurde lauter, weil er sich rechtfertigte.
Sie hörte den Mob vor dem Bolingbroke-Bahnhof, bevor sie ihn sah – immer wieder dumpfen Donner, wie sie ihn nur von nachtgeborenen Fabriken mit schweren Maschinen kannte, und das stumpfe Gebrüll unzähliger Stimmen. Als sie die Zufahrtsstraße dann erreichte, sah sie den Mob vor den Bahnhofstoren, der im Rhythmus mit dem Donner brüllte.
Sie verlangsamte ihre Schritte und kam zum Stehen. Fejelis brauchte die Information, die sie für ihn hatte. Ohne sie war er in Gefahr, doch Fejelis hatte zu seinem Schutz die Palastwache und wusste sich auch selbst zu helfen. Die Nachtgeborenen im Bahnhof hingegen hatten nichts und niemanden, um sich zu verteidigen und sich gleichzeitig vor dem todbringenden Sonnenlicht zu schützen. Wenn die Tore nachgaben, würde die Sonne sie alle massakrieren, Bahnarbeiter und Ladenbesitzer, Geschäftsleute und Studenten, Männer, Frauen und Kinder, keiner davon Herzog und nur wenige Soldaten – Balthasars Leute.
Sie wusste, wie Isidores Befehl gelautet hätte, und meinte zu wissen, was Fejelis sagen würde. Doch war es das Geschrei des Mobs, das einen wilden Zorn in ihr weckte, und an einem Tag, an dem der Wahnsinn regierte, sollte dies der ihre sein.
Die Menge füllte nahezu den riesigen Vorplatz des alten Bahnhofsgebäudes. Schaulustige waren auf einige der Statuen geklettert, und allein das tiefe Wasser hatte die meisten Leute davon abgehalten, auch das Herzstück des Brunnens in der Mitte des Platzes zu erklimmen. Floria setzte ihren Fuß auf den Beckenrand und sprang, um nach dem ausgestreckten Flügel der windmühlenähnlichen Konstruktion zu greifen und sich aufzuschwingen. Zwei der drei Jugendlichen, die das tiefe Brunnenwasser nicht abgehalten hatte, sahen erst ihren Revolver, dann Florias Miene und suchten das Weite. Ein Stoß vertrieb den Dritten. Das Gebilde mit seinen breiten Metallflügeln verletzte das konservative, nachtgeborene Feingefühl und war auch in den Augen Lichtgeborener nicht eben ansehnlich, bot jedoch gute Deckung und einen noch besseren Überblick. Entlang eines dieser Flügel sah Floria den improvisierten Rammbock, einen Pfahl mit einer Metallkappe, auf dem Fahrwerk einer Kutsche festgeschnallt. Seine sechs Männer machten ihn für den nächsten Anlauf gegen die glänzenden Bahnhofstore bereit.
Es überraschte sie ein wenig, dass die Stadtwache noch nicht da war, doch ahnte sie, warum. Von Balthasar wusste sie, dass das alte Bahnhofsgebäude mehrere Stockwerke in die Tiefe reichte, so dass die Nachtgeborenen – selbst wenn die Tore aufgebrochen worden waren – Zuflucht finden würden, bis der Mob genügend Lampen beisammen hatte und sich hineinwagte. Im Gegensatz zu anderen Gebäuden in der
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