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Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren

Titel: Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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auf die steinernen Stufen krochen. Sie lehnte Vladimer gegen einen Steinblock, um seinen Stock aus dem halb versunkenen Boot zu retten.
    »Mir scheint«, sagte sie, »Ihr Evakuierungsplan ist nicht ganz ausgegoren.«
    Ganz hinten in der Kehle machte er ein Geräusch, das auf Zustimmung, vielleicht sogar Belustigung hindeutete. Sie half ihm auf die Beine und die Treppe hinauf, wo sie ein Gitter fand, ganz ähnlich wie jenes, das ihnen zu Beginn ihrer Flucht den Weg verstellt hatte. Er überließ ihr den Schlüssel, um das Gitter zu öffnen. Sie kletterte die hüfthohe Stufe hinauf und half ihm, sich hochzuziehen, was ihm nur mit Mühe und zusammengebissenen Zähnen gelang.
    »Wie weit müssen wir zum Bahnhof laufen?«, fragte sie.
    »Das können wir erst nach Sonnenuntergang«, sagte er. »Die Tageszüge verkehren nicht. Hier gibt es Zimmer.«
    Die Zimmer – eine kurze Treppe hinauf, in einem Seitentunnel – waren erschreckend primitiv und dennoch eine große Freude. Ein kleines, zentrales Wohnzimmer mit vier Schlafräumen, von denen jeder mehrere schmale Betten und Truhen und Schränke für Kleider enthielt, die sorgsam gefaltet und mit Duftkissen versehen waren. Telmaine, der die Röcke nass an den Knöcheln klebten, schluchzte beinah vor Freude über diesen Duft.
    »Wie lange lagern diese Sachen schon hier?«, sagte sie und wühlte nach etwas Passendem.
    »Das unterirdische Aquädukt ist so alt wie die Stadt selbst«, sagte Vladimer und lehnte sich unter Schmerzen an den Türrahmen. »Als mich mein Bein lehrte, dass ich bei meinem Plan diejenigen vergessen hatte, die nicht so weit laufen können, habe ich es wieder öffnen lassen.«
    »Und was haben Sie mit den Arbeitern gemacht?«, fragte sie mit schneidender Stimme. Offenkundig hatte Vladimer einen Fluchtweg für den Erzherzog und seine Familie schaffen wollen, und dafür war Geheimhaltung unabdingbar.
    »Gute Auswahl, gute Bezahlung und Einschüchterung«, sagte Vladimer, ohne sich von ihrer Andeutung kränken zu lassen. »Ziehen Sie sich um«, verlangte er, »und gesellen Sie sich zu mir.«
    Am liebsten wäre sie schlafen gegangen. Nein, am allerliebsten wäre es ihr gewesen, wenn er schlafen ginge, damit sie nicht mehr über ihn wachen musste, sondern darüber nachdenken konnte, was sie als nächstes tun, wohin sie gehen sollte. Er schien entschlossen zu sein, sie in die Grenzlande mitzunehmen. Ein Mann und eine Frau gegen die Invasion: Welch neuerlichen Irrsinn plante er? Sie zog ein praktisches Reisekleid an, das für eine etwas größere und fülligere Frau gemacht war, aber dennoch ganz annehmbar passte.
    Sie fand Vladimer am Tisch in der Mitte des Wohnzimmers, mit einer trockenen Jacke um die Schultern, einer verkorkten Flasche und Gläsern vor sich. Er peilte sie und atmete scharf ein, wobei seine Miene erst vor Schreck, dann vor Zorn und schließlich vor seltsam verletzter Gleichgültigkeit erstarrte. Sie hatte nicht bedacht, wem dieses Kleid gehören mochte, doch wenn er diesen Fluchtweg schon vor Jahren geplant hatte, dann … Den Gerüchten nach war Vladimer in die Frau seines Bruders verliebt gewesen. Bevor Telmaine Zeit mit ihm verbracht, bevor sie sein Bewusstsein berührt hatte, hätte sie so etwas von einem Mann seines Rufes nicht erwartet, doch der Vladimer, der sich ihr offenbarte, war zu großer Liebe und zu großem Hass fähig.
    Sie setzte sich ihm gegenüber und gab vor, nichts bemerkt zu haben. Vladimer schob ihr die Flasche zu und reichte ihr den Korkenzieher. Es war nicht eben damenhaft, Flaschen zu entkorken, und doch gelang es ihr, den mürben Pfropfen herauszulösen. Behutsam schenkte sie zwei Gläser ein. Sie hatte befürchtet, dass es Bier wäre, doch es roch – ganz angenehm und eher leicht – nach frühsommerlichem Apfelwein. Vladimer holte ein kleines Medizinfläschchen hervor und gab eine sorgsam abgemessene Menge dessen Inhalts in sein Glas. Sie fing den vertrauten, muffigen Geruch eines starken Schmerzmittels auf.
    »Sie sagten, es gäbe Berichte über eine Invasion in den Grenzlanden, und Sie wollten dorthin und hätten die Absicht, mich mitzunehmen. Was haben Sie denn vor?«
    Vladimer lehnte sich zurück, hielt seinen Arm. »Zuerst den Bericht überprüfen. Er könnte falsch sein oder übertrieben.«
    »Und wenn nicht? Was können Sie und ich allein ausrichten?«
    »Sejanus war nicht bereit, die übliche Verstärkung zu entsenden, zumindest nicht ohne weitere Informationen. Die, wie ich fürchte, zu spät kommen

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