Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
Stadt, die ebenfalls unter Belagerung stehen mochten.
Vielleicht, so dachte sie, sollten die Leute ihren Zorn ruhig an den Toren austoben, doch während sie das noch dachte, hörte sie, dass der Rammbock erfolgreich war, da die Menge ein Triumphgeschrei anstimmte, welches sie zusammenzucken ließ. Sie hob ihren Revolver an und schoss zwei Kugeln zwischen die vorderen Männer. Einer wich zurück, und der Rammbock verfehlte sein Ziel. Ein neuer Mann drängte vor, um den freien Platz einzunehmen. Floria schoss noch einmal, und der Neue sprang zurück, fasste sich an die Schulter, mit der er den Rammbock anschieben wollte. Er hatte eine Kugel oder einen Splitter abbekommen. Schweigen breitete sich aus, Leute sahen sich um, erst wahllos, dann zielgerichtet. Sie stützte sich auf ihre Ellbogen, hielt den Revolver bereit, achtete wachsam auf jede Bewegung unter sich, die darauf hinweisen mochte, dass irgendjemand in der Menge mit etwas anderem als den üblichen Waffen städtischer Unruhestifter ausgestattet war.
»Lasst sie in Frieden!«, rief sie. »Das sind nicht eure Feinde!«
»Nicht unsere Feinde! Nicht unsere Feinde! «, kreischte eine Frau aus der Menge. Der Staubschicht und ihrem wilden Blick nach zu urteilen, war auch sie dem einstürzenden Turm allzu nah gewesen. »Meines Bruders Sohn wurde im Bett erschlagen, und seine Mutter wird vor Trauer das Kind verlieren, das sie in sich trägt.«
»Eure Trauer schmerzt mich«, rief Floria zurück. »Doch das, was ihr vorhabt, bringt keine Gerechtigkeit. Es wäre Mord, und das werde ich nicht zulassen.«
»Wer bist du, dass du uns richtest?«
»Floria Weiße Hand aus Prinz Isidores und Prinz Fejelis’ Garde.« Und sie betete darum, dass der Haftbefehl nicht außerhalb der Wache bekannt war.
»Nachtgeborenenliebchen!« Ein Stein traf den Rand des Flügels. Sie wusste nicht, von wem er kam, hatte ihn nicht fliegen sehen. Das ging zu weit.
Die Leute um den Rammbock begannen eine neuerliche Attacke. Floria verzog das Gesicht, zielte und schoss am Rammbock entlang, als die Männer einmal mehr vorwärts stürmten, doch waren sie in ihrem Drang kaum aufzuhalten. Die Menge tobte.
»Habt ihr euch nicht umgesehen, als ihr durch diese Straßen gegangen seid?« , schrie sie. » Zu Dutzenden sind Nachtgeborene gestorben. Sie wussten auch nichts davon.«
» Irgendjemand hat es gewusst «, und noch mehr Steine klapperten gegen die Mühlenflügel, kamen von beiden Seiten geflogen unter Rufen wie »Nachtgeborenenliebchen« und »Söhne Odons« und »haben die Magier umgebracht«.
Unten gesellten sich mehrere Männer zu den sechs, die den Rammbock schoben, und brachten sich in Stellung. Sie schrie: »Die nächste Kugel trifft!« Sie hörte ein Platschen unter sich. Jemand packte ihren Fuß, legte sein ganzes Gewicht hinein, um sie in die Tiefe zu reißen. Sie wechselte den Revolver in die linke Hand, bekam den Rand des Flügels mit der kräftigeren Rechten zu fassen und hielt sich fest. Wieder ein lautes Krachen, die Scharniere der Tore brachen. Ihr Angreifer, der sich mühte, höheren Halt an ihrem Bein oder ihrem anderen Knöchel zu finden, brachte seinen Kopf in Trittnähe, und sie trat ihm ins Gesicht. Mit einem wortlosen Schrei, der im Tumult der Menge unterging, zog sie sich hinauf, nahm den Revolver wieder in die Rechte und schoss auf beide Seiten des Rammbocks. Dieser verlor den Schwung und verfehlte sein Ziel. Ein Stein traf sie an der Stirn, ein anderer bescherte ihr einen tauben rechten Arm. Der Brunnen war voll von weißem Schaum und zappelnden Gliedern, das Windrad um sie herum vibrierte von Treffern. Irgendetwas traf den Flügel neben ihrem Arm, härter als jeder Stein: eine Pistolenkugel. Hände krallten sich in ihre angewinkelten Beine, zerrissen Stoff und zerkratzten Haut. Über den Rand des Flügels hinweg sah sie fliegende Steine, rudernde Arme und dahinter das Glitzern des Sonnenlichts auf Rüstungen, den Glanz polierter Helme. Einen Herzschlag lang hielt sie sich noch fest. Dann riss man sie los, und sie stürzte zwischen stampfende Leiber in weißes, wogendes Wasser.
Als sie wieder zu sich kam, hing sie über dem Beckenrand, trübes, rotes Wasser direkt vor ihrem Gesicht. Jemand hielt ihren Kopf, während sie Schaum und Galle spuckte. Etwas schwappte am Rande ihres Blickfelds. Dann sah sie eine Leiche bäuchlings im Wasser treiben, die ausgebreiteten Arme blutleer und weiß wie ein Fischbauch.
»Fertig?«, fragte eine Frauenstimme. Sie krächzte und
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