Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
unaufgefordert die vierte Ecke der Trage.
Das Licht jenseits des Nebels trübte sich deutlich ein. Bis sie ihr Ziel erreichten, hatte auch Fejelis mit anfassen müssen. Anscheinend war Orlanjis ein gutes Stück des Wegs gerannt. Sie liefen meist schweigend, sprachen nur, wenn es um die Verteilung der Last ging. Doch Fejelis hatte herausgefunden, dass sie sich in der nachtgeborenen Baronie Strumheller befanden, dreißig Meilen westlich vom Strumheller-Bahnkreuz. Die Hütte der Bahnarbeiter bot eine erfreuliche Überraschung: Es handelte sich nicht um eine Hütte, sondern um ein kleines Haus, das auf Pfählen stand – für bessere Sicht und zum Schutz gegen Schattengeborene, die gelegentlich auftauchten. Jade empfand eine boshafte Freude, zur Erbauung der Stadtjungen auf die tiefen Klauenspuren an den Pfählen hinzuweisen. Orlanjis schluckte, und seine Augen blitzten weiß. Fejelis dachte, dass die Spuren aussahen, als wären sie Jahre, wenn nicht Jahrzehnte alt. Er war zu müde, um sich Angst einjagen zu lassen.
Oben auf der Plattform wartete eine weitere junge Frau. Mit einem Bogen um die eine Schulter und einem nachtgeborenen Gewehr um die andere hielt sie Wache. Sie empfing sie oben an der Treppe und warf einen bestürzten Blick auf den ohnmächtigen Magier. »Tam!«
Tams Ortswahl war offenbar nicht willkürlich gewesen. Die Frau blinzelte Fejelis achtsam und leicht bestürzt an, als sie sich seiner Aufmerksamkeit bewusst wurde. Sie war klein, eher stämmig. Zwar reichte sie ihm nur bis zur Brust, doch hatte sie Schultern so muskulös wie die eines Gardisten, volle Brüste und Hüften und große, kräftige Hände. Ihre Haut war vom dunklen Oliv des Südwestens, sie hatte honiggelbe Augen und schwarzes Haar, so kurz geschoren, dass es wie Fell aussah. Es glänzte silbrig vom feinen Tau des Nebels. Wie mochte es sich wohl anfühlen, darüber zu streichen?
Sie löste sich von seinem Blick und wandte sich ab. Er schüttelte verstört den Kopf. Jahrelang kultivierte er nun schon seinen Widerstand gegen die Lockungen unheilvoller Hofschönheiten, ganz zu schweigen von den koketten Kunsthandwerkerinnen, und da war er nun, verunsichert von einer namenlosen Eisenbahnerin am Rande der zivilisierten Welt.
»Jay?«, fragte Orlanjis.
Er warf seinem Bruder ein schiefes Lächeln zu, bückte sich und folgte den Rettern ins Häuschen. Drinnen legten sie den bewusstlosen Tam in das beste Bett im Haus. Der winzige Raum bot kaum Platz für die vier Träger, von Fejelis ganz zu schweigen, also blieb er zurück. Orlanjis und zwei der anderen kamen wieder heraus. Der Mann, der Tam ebenfalls erkannt hatte, blieb. Die kleine Frau wollte die Tür schließen, doch sah sie Fejelis’ bestimmten Blick und seine Hand an der Tür. »Er ist unser Herr und Meister«, sagte er und gab sich Mühe, ein Schweigegelübde mit schlichten Worten vorzubringen. »Wir sagen nichts, was wir nicht sagen sollen.«
»Dann komm rein«, forderte sie ihn auf, und als der andere Mann Einwände erheben wollte, schüttelte sie den Kopf. Sie mochten Bruder und Schwester sein, dachte Fejelis, von ähnlich breiter Statur und Kopfform, wobei die Haut des Mannes kupferfarben schien, die Augen dunkel, nicht von jenem seltsam vertrauten Honiggelb.
Sorgsam schloss Fejelis die Tür hinter sich. Die Frau baute sich vor ihm auf. »Bevor wir weitersprechen«, sagte sie leise, »wer seid ihr wirklich? Dein … Bruder hat uns eine Mär von rivalisierenden Magiern aufgetischt, die glaubhaft erscheinen mag, sofern man Magister Tammorn nicht kennt. Ich jedoch fand sie lediglich amüsant.«
Er fürchtete, Orlanjis sei allzu kreativ gewesen. »Mistress … « Sie verriet ihm keinen Namen. »Ich habe allen Grund, Ihnen zu verschweigen, wie ich heiße, da die missliche Lage, aus der uns Magister Tammorn gerettet hat, eher die meine als die seine war. Doch ist er mein Freund und das bereits seit Jahren.«
Ihre Augen wurden schmal, schienen den Abstand zwischen ihm und ihr zu messen. Er hingegen begutachtete die Kraft in ihren wohlgeformten Armen und ließ seine Hand am Türgriff.
»Wie heißt sein Sohn?«, fragte sie.
»Artarian. Nach dem Bruder, den er vor Jahren in den Bergen verloren hat.«
»Und wer ist sein Meister?«
»Der einzige Name, den er je erwähnt hat, war Lukfer.«
»Kannst du Magister Lukfer beschreiben?«
Nicht zu Lebzeiten , dachte er und erinnerte sich an den Leichnam in den staubigen, blutgetränkten Tüchern. Falls sie den toten Magier gekannt hatte,
Weitere Kostenlose Bücher