Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
nichtssagend, wie sie gekommen war. Der Stand der Sonne ließ sich im Nebel nicht ausmachen. Orlanjis, der wild entschlossen die Strecke entlang stapfte, rief plötzlich: »Fejelis, wir müssen hierher.«
»Wie kommst du darauf?«
»Die nächste Eisenbahnerhütte. Es gibt Dutzende entlang der Strecke, für die Leute, die die Schienen und die Weichen für die Tageszüge instand halten. Ich weiß, angeblich gibt es keine Lichtgeborenen in den Grenzlanden, aber sie existieren doch. Weil wir sehen können, sind wir besser dafür geeignet, die Strecke zu warten.«
»Ich wusste gar nicht, dass du dich für die Eisenbahn interessierst.«
Orlanjis’ Miene verfinsterte sich. Unsicher zuckte er mit den Schultern. »Ich dachte, wenn ich das Leben bei Hofe nicht mehr ertrage, laufe ich weg und arbeite bei der Bahn.«
Fejelis verhinderte gerade noch, dass seine Mundwinkel zuckten. Orlanjis’ Wissen konnte ihnen das Leben retten. »Also, wie weit?«
Orlanjis sah erst ihn an, dann den reglosen Magier auf seiner Schulter. »Ich weiß nicht.«
»Könntest du dann vorausgehen? Hilfe holen, wenn möglich? Ich folge dir, so schnell ich kann.« Falls der Sonnenuntergang sie einholte, hätte Orlanjis so eine bessere Chance, Zuflucht zu finden.
Orlanjis schluckte. Fejelis wartete, betrachtete ihn ruhig, zuversichtlich, verbarg seine Furcht. Orlanjis nickte einmal, dann wandte er sich um und verschwand im Nebel. Wagte nicht, langsamer zu gehen. »Folge den Schienen!«, rief Fejelis ihm nach. Es kam keine Antwort, nur eine Ahnung eiliger Schritte. Der Nebel verschlang ihn, seinen einzigen Gefährten. Fejelis packte die unhandliche, zentnerschwere Last seines Freundes und Beschützers fester – einen Erwachsenen zu schultern war weit schwieriger, als es bei den Wachen aussah – und konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, solange es noch ging.
Als er eine ganze Weile später die Lichter sah, hielt er sie anfangs nur für eine weitere Illusion im Tunnel des grauen Nebels, einen imaginären Funkenregen. Da das Blut in seinen Ohren rauschte, hörte er keine Stimmen. Doch die Lichter wippten näher, und da erkannte er die Umrisse von Menschen. Er erhob seine Stimme, und Orlanjis kam aus dem Nebel gelaufen, stieß beinah mit ihm zusammen. »Jay!«, rief er und flüsterte dann eindringlich: »Wir sind seine Diener, verstanden? Stell dich dumm!« Finger tasteten an Fejelis’ Hals herum, lösten den Sternsaphir und den Talisman zum Schutz vor Metall und steckte beides in eine Innentasche.
Hinter ihm mehrten sich die Umrisse und nahmen erst an Dichte zu, dann an Farbe und Detail – zwei Männer und eine Frau, junge Bahnarbeiter in Leder und derbem, losem Stoff, schwerer und blickdichter bekleidet als die Stadtbewohner. Orlanjis trug eine ähnliche Weste, die ihm viel zu groß war. Die Frau und einer der Männer waren hellhäutig und rothaarig und sprachen den schweren Akzent der westlichen Berge. Der zweite Mann, kupferhäutig und dunkelhaarig, hatte einen Tonfall aus dem Südwesten. Die aus den Bergen waren Sorrel und Midha, und der aus dem Süden hieß Jade. Sie halfen Fejelis, den bewusstlosen Magier abzuladen und legten ihn auf eine Trage aus Drahtgeflecht. Durch die Erschöpfung und die Erleichterung, nicht nur auf Menschen gestoßen zu sein, sondern auch gesegnetes Licht gefunden zu haben, fiel es Fejelis nicht schwer, sich genauso dumm zu geben, wie Orlanjis’ List es verlangte. Als Jade sagte: »Heilige Muttermilch, ich kenne diesen Mann«, glotzte er nur.
Orlanjis fing sich so weit, dass er sagen – oder besser: zwitschern – konnte: »Du kennst ihn?«
»Aye, ich kenne ihn«, sagte der Mann und schien den panischen Blick nicht zu bemerken, den Orlanjis Fejelis zuwarf. Erleichtert bemerkte Fejelis, dass er Tam mit Vorsicht behandelte, nicht wie einen Feind. Fejelis versuchte, ihn zu weiteren Ausführungen zu bewegen, und gab sich Mühe, wie ein Kunsthandwerker aus der Stadt zu klingen. »Hat in der Stadt viel Gutes getan.«
»Ich dachte, ihr zwei seid Brüder«, warf die Frau argwöhnisch ein. »Er klingt gar nicht wie du.«
»Ist tüchtiger als ich«, sagte Fejelis. »Mir ist das egal.« Er fragte sich, wo Orlanjis die Prinzenhaube und die nicht minder verräterische Jacke versteckt hatte, doch vorerst war er froh, dass Orlanjis überhaupt eine Geschichte eingefallen war. In seiner Erschöpfung zweifelte er doch sehr an der eigenen Erfindungsgabe.
Mit sorgenvollem Seitenblick nahm Orlanjis
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