Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
er unter einem dichten Blätterdach hindurch. Dann war es also nicht die Dämmerung, sondern kalter Nebel.
»… sind wir?«
Meeresküste, Insel oder Berge. Entscheidender war die Tageszeit. Wann ging die Sonne unter?
Ein paar Meter weiter lag Tam auf dem Bauch, eine Hand flach abgestützt, den Ellbogen angewinkelt, als wäre er in sich zusammengesunken. Sein Atem war kaum wahrnehmbar und sein Gesicht – als Fejelis ihn langsam auf den Rücken drehte – nebelgrau. Fejelis’ Ohr fand an seiner Brust den langsamen Herzschlag, seine Wange an Tams Nase spürte einen leisen Lufthauch. Fejelis kniff ihn fest, löste jedoch keine Reaktion aus.
»Ist er tot?«, fragte Orlanjis, als er neben ihm aufstand. »Hat er das getan?«
»Nein, ist er nicht, und ja, ich glaube wohl.« Fejelis wischte sich den feuchten Ärmel über die feuchte Stirn und begann aufzuzählen, woran es ihnen mangelte. Sie hatten nichts zu essen, nichts zu trinken, nichts, um sich und vor allem Tam zu wärmen, und kein Licht.
»Er muss uns zurückbringen!«, forderte Orlanjis und berührte den Magier an der Schulter. Fejelis packte seines Bruders Handgelenk. Panik sprach aus Orlanjis’ großen Augen, als er Fejelis ansah. »Wenn die Sonne untergeht, sind wir tot .«
»Angesichts der Tatsache, dass eben aus drei Armbrüsten auf uns geschossen wurde, ist es immerhin ein Fortschritt, dass uns noch bis zum Sonnenuntergang Zeit bleibt.« Orlanjis’ Augenrollen rief ihm in Erinnerung, dass nicht jeder seinen prinzlichen Humor zu schätzen wusste. Etwas sanfter sagte er: »Vorerst sind wir in Sicherheit.«
»In Sicherheit? Er allein kann uns zurückbringen, und er ist bewusstlos.«
»Er wird seinen Grund gehabt haben, uns hierher zu bringen. Versuchen wir, uns zu orientieren.« Er legte kurz eine Hand auf Tams Brust, um beruhigend zu wirken, bevor er aufstand. »Wir beide gehen ein Stück, bis wir Tam gerade noch sehen können. Ich gehe ein Stück weiter, bis ich dich eben noch wahrnehme, und dann umkreisen wir Tam, ohne einander aus den Augen zu lassen.«
»Lass mich nicht allein«, sagte Orlanjis zu Boden blickend.
»Natürlich nicht.« Er lächelte und drückte Orlanjis’ Schulter. »Du hast doch auch zu mir gestanden. Lass Tam nicht aus den Augen. Wenn ich mich zu weit wegbewege, ruf mich zurück, verstanden?« Langsam entfernte er sich wie vor einem unberechenbaren Pferd, bis Orlanjis kaum noch zu sehen war. Er wusste, dass seine roten Kleider gut zu erkennen waren und Orlanjis’ Panik lindern würden. Er wandte seinem Bruder die Schulter zu und begann, langsam einen großen Kreis abzuschreiten. Nach zwei Dutzend Schritten entdeckte er weit entfernt eine undeutliche, graue Linie. Er blinzelte. Ja, sie war real. »Ich sehe etwas. Nein, komm nicht her!« Er zog seine Jacke aus, rollte sie zusammen und bettete sie auf die Erde, ging den halben Weg zu Orlanjis, nahm die Haube vom Kopf, legte sie ab und ging den ganzen Weg zurück.
»Die nehmen wir auf dem Rückweg mit«, versprach er seinem staunenden Bruder. »Warte hier, während ich Tam hole.«
Er kehrte zu Tam zurück, hockte sich hin, hob den leblosen Magier auf und hievte ihn mit Mühe auf die Schulter. Sie folgten der Spur der Prinzenhaube und der Trauerjacke dorthin, wo Fejelis den Weg gesehen hatte, wobei Orlanjis widerspruchslos Fejelis’ Aufforderung nachkam, die Sachen aufzuheben, auch wenn er die Prinzenhaube wie einen Seeigel anfasste. Einmal mehr hatte sich der Nebel verdichtet, doch Orlanjis sagte: »Ich gehe voran«, und marschierte los. »Es ist eine Eisenbahnstrecke. Aber wo … ?«
Als Orlanjis im Nebel unscharf wurde, knurrte Fejelis: »Nicht so schnell!« Dann folgte er ihm, so gut es ging. Er holte Orlanjis auf einer schmalen Pflasterstraße ein, wo dieser stand und die daneben verlaufenden Schienen betrachtete.
»Wir sind in den Grenzlanden«, sagte Orlanjis kreideweiß.
Hügeliges Gelände, kein Hauch von Seeluft. »Du scheinst dir deiner Sache sehr sicher zu sein.«
»Solche Schienen wurden nur zwischen Stranhorne und dem Ende der Südbahn verlegt. Wir sind … in den Grenzlanden.«
»Das scheint einer gewissen Logik zu folgen«, sagte Fejelis. Außerdem deutete er darauf hin, dass Tam möglicherweise nicht richtig überlegt hatte, als er sie in diesem Ödland absetzte, das die Lichtgeborenen aufgegeben hatten. Er verbarg seine Verzweiflung, als er die Strecke entlangblickte, die auf einer Seite am Horizont auftauchte und auf der anderen im Nebel verschwand, so
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