Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
bereits über dreißig.«
»Um meines Namens willen, ich werde ihr schon den gebührenden Respekt entgegenbringen, dieser treulosen … « Welche Beschimpfung Mycene auch auf der Zunge gelegen haben mochte, er behielt sie für sich; Kalamay war nicht nur für seine Frömmigkeit berühmt, sondern auch für seinen Anstand. »Nur gut, dass Vladimer derjenige war, der die Anklage erhoben hat. Es gibt genügend Männer, denen er dermaßen verhasst ist, dass sie ihren Unglauben öffentlich kundtun würden.«
»Sollte Ferdenzil eine der anderen Amberley-Töchter heiraten, könnte es die Trauerzeit verkürzen. Denn ich glaube kaum, dass die Familie auf mehr Zurückhaltung bestehen würde, und Ihr könntet die Mitgift behalten.«
»Die Schwestern!« Diese Provokation riss dem anderen Mann die Maske der Gleichgültigkeit vom Gesicht. »Die Jüngere kommt nahezu einer Hure gleich, der Unterschied ist verschwindend gering, und die Ältere ist ein unansehnlicher Besen mit intellektuellen Ansprüchen. Und entweder die Amberleys händigen die Mitgift aus – oder ich werde Tercelles Namen und den ihrer Familie ruinieren.«
»Solange Sie die Einzelheiten aus den Zeitungen heraushalten können«, merkte Kalamay an.
»Männer, die die Wahrheit für sich beanspruchen, gibt es wie Sand am Meer. Ich kann ihren Namen aus den Zeitungen heraushalten.« Ungeduldig rutschte er beim Sitzen hin und her, und sein Sessel und seine Lederhose knarrten. »Sejanus muss wohl noch dringende Geschäfte zu erledigen haben.«
Es entstand eine kurze Pause. »Die jüngste Tochter der Stotts wird nächstes Jahr eingeführt«, griff Kalamay das Thema wieder auf. »Sie macht einen ausreichend gesunden und fügsamen Eindruck, auch wenn sie keine Schönheit ist und noch dazu eine recht späte Blüte. Sie ist noch im Wachstum.«
Telmaine erstarrte vor Fassungslosigkeit. Sie sprachen über ihre jüngste Schwester, Anarysinde, die erst sechzehn Jahre alt war und es kaum erwarten konnte, in die Gesellschaft eingeführt zu werden, damit rechtmäßig um sie geworben und um ihre Hand angehalten werden durfte. Die Gesellschaft gewährte einem Mädchen jedoch nur eine kurze Gnadenfrist, bevor es zum hoffnungslosen Ledigsein verdammt wurde, wohingegen Ferdenzil Mycene auch mit dreißig noch ein gefragter Junggeselle sein konnte. Telmaines Bruder, der Herzog und Anarys offizieller Vormund, würde sich bei dem Gedanken an eine Eheschließung seiner kleinen Schwester mit dem Herrscher eines der vier großen Herzogtümer genauso geschmeichelt fühlen, wie er sich über Telmaines Zurückweisung empört hatte. Man stelle sich nur die fröhliche, romantische Anarys vor.
Gereizt sagte Mycene: »Größe sollte man nicht überbewerten.« Er war, genau wie sein Sohn, empfindlich wegen seiner eigenen Körpergröße, dachte Telmaine. »Ich kenne das Mädchen kaum. Fügsam, sagst du. Ich müsste auf einer Garantie für ihre Tugendhaftigkeit bestehen. Ich will nicht, dass sich die Geschichte wiederholt.«
Du arroganter, heuchlerischer … , dachte Telmaine wutentbrannt, doch der Gedanke wurde unterbrochen, als Mycene plötzlich fragte: »Riechst du den Rauch?« Sie unterdrückte ein Keuchen und streckte ihre Magie und Hände aus, um den schwelenden Rand der Tapete zu löschen.
Kalamay sagte: »Der Geruch kommt aus der Flussmark.«
Zutiefst erschüttert presste Telmaine ihre Fäuste an die Schläfen. Sie konnte nicht, nein, sie würde nicht zulassen, dass ihre Wut sie ins Verderben führte, ganz gleich, wie sehr sie provoziert wurde. Und die beiden würden mit ihrer Schwester keinen derartigen Handel treiben.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und ein Lakai unterrichtete die Männer darüber, dass der Erzherzog sie nun empfangen würde. Unter dem Rascheln schwerer Stoffe und dem Knarren von Leder erhoben sich die beiden Herzöge. Telmaine dachte: Sie dürfen jetzt nicht gehen; ich muss es wissen … Ihre guten Vorsätze außer Acht lassend, Vladimer missachtend, vom Zorn und der Angst um Balthasar und ihre Schwester getrieben, schickte sie ihre Magie aus und rauschte damit durch Mycenes Geist.
Telmaine
Mehrere Minuten nachdem die Männer gegangen waren, kam Kingsley, um sie zu befreien und wieder zu Vladimer zu geleiten. Ihr erster – und noch immer vorherrschender – Impuls war, zum Haus ihrer Schwester zu rennen , sich ihre beiden Töchter zu schnappen und sie weit weg zu bringen, raus aus dieser verfluchten Stadt.
»Prinzessin Telmaine?«, erkundigte sich der
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