Lichtgeboren - Sinclair, A: Lichtgeboren
unfreiwillig als sie zuvor geschwiegen hatte.
»Sie wollen was ?«
Jetzt war es ihr doch noch gelungen, ihn zu schockieren, und seine Reaktion verängstigte sie ebenso sehr wie damals, als sie noch ein Kind war und er sie dabei erwischt hatte, wie sie ohne Erlaubnis sein privates Arbeitszimmer betreten hatte. Stumm wie dieses kleine Mädchen saß sie da und wartete darauf, entweder geschlagen oder geschüttelt zu werden. Doch seine Überlegenheit schien ihm Geduld zu verleihen. »Erzählen Sie«, sagte er ruhig. »Erzählen Sie mir alles.«
Sie stotterte: »Ich … ich … « und stieß einen Peilruf hervor, als sie hörte, wie er mühsam auf die Beine kam und eine Karaffe und ein Glas aus der Anrichte holte. Einhändig schenkte er ihr ein und – den Stock ließ er auf der Anrichte zurück – kam humpelnd auf sie zu, um ihr das Glas vor die Nase zu halten. »Wenn ich Sie erst betrunken machen muss, damit sich Ihre Zunge löst, werde ich das tun, und wenn es Sie auch Ihren noch so wertvollen Ruf kosten mag.«
Der Geruch von Weinbrand stach ihr in die Nase. Sie trank, wie ihr geheißen, und hustete von dem starken Alkohol. Er strafte seine Drohung Lügen, als er ihr das halbvolle Glas entriss und dabei Weinbrand über ihr Mieder verschüttete. »Das reicht. Ich brauche Sie bei klarem Verstand.« Vladimer humpelte zu seinem Sessel zurück und trank selbst den letzten Schluck. Dann ließ er das Glas einfach fallen. Erstaunlicherweise hüpfte es ein paarmal auf dem dicken Teppich und blieb unbeschädigt liegen. »So«, krächzte er, als er sich wieder auf dem Sessel niederließ, »etwas von dem, was die Herzöge gesagt haben, hat Sie offenbar dermaßen aufgeregt, dass Sie Ihre guten Vorsätze haben fahren lassen.«
»Sie waren so abscheulich«, flüsterte sie, »sie haben über Balthasar und Anarysinde gesprochen, als wären sie nichts weiter als Schachfiguren.«
»Ach«, sagte Vladimer voller Ironie. »Die beiden müssen wohl gedacht haben, dass ich, falls mir von ihrem Gespräch berichtet würde, es für bedeutungslos hielte. Auf verhängnisvolle Weise jedoch scheint es sie provoziert zu haben.«
»Der Lakai wollte sie zum Erzherzog bringen. Ich musste einfach erfahren, was Mycene mit Balthasar vorhat und mit Anarysinde. Aber er hatte bereits aufgehört, an sie zu denken – sie kümmerten ihn nicht. Mycene dachte daran, was er dem Erzherzog sagen wollte, damit er bestimmte Straßen in nächster Nähe des Turms evakuieren lassen konnte. Und er hat überlegt, ob sich das Risiko, Ihr Misstrauen zu erregen, überhaupt lohnen würde, nachdem in diesen Häusern doch ohnehin niemand von Bedeutung wohnt.«
Vladimers Kehle gab ein leises Geräusch von sich, fast wie ein Knurren. Er stand in dem Ruf, den Grundriss der Stadt klar und deutlich wie ein Schachbrett im Kopf zu haben. Am Rande des Bezirkes der Lichtgeborenen gab es für Telmaine nur eine Straße und nur ein Haus, das sie interessierte: Balthasars schmales Stadthaus, dessen Rückseite an das Haus von Floria Weiße Hand grenzte. Er war in diesem Haus geboren, hatte es nach dem Tod seiner Eltern geerbt, und obgleich sie wünschte, er würde sich davon trennen, sollte es nicht auf diese Weise geschehen.
Sie schluckte. »Das war sein vorrangigster Gedanke, das und seine Genugtuung darüber, den Staat von einer solchen Bedrohung zu befreien. Er hasst die Vorstellung, dass es eine größere Macht als den Staat, als ihn selbst, geben könnte. Er neidet den Magiern ihre Macht.« Sie erschauderte bei dem Gedanken an diesen Neid, diesem gefräßigen Neid, der alles zerstörte, was er nicht bekommen konnte.
»Wie soll das Ganze vonstatten gehen?«
»Ich bin … ich weiß es nicht. Es stellte sich mir hauptsächlich als Eindrücke und Gefühle dar. Ishmael … « Aber sie konnte nicht über Ishmael sprechen, nachdem sie gegen seine Prinzipien verstoßen hatte, die er einst mit ihr zu teilen versucht hatte. Zwar war er seinen Prinzipien einmal selbst untreu geworden, als er es wagte, Tercelle Amberleys Gedanken durch Berührung zu lesen, aber das war ja für Florilinde gewesen.
»Wenn Sie mir nicht genügend Informationen liefern, mit denen ich arbeiten kann«, sagte Vladimer gleichmütig, »werde ich Ihnen Gelegenheit geben, das nachzuholen.«
Sie schnappte nach Luft, doch eine Weigerung wäre ohnehin ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen.
Geduldig griff er das Thema wieder auf: »Soll der Anschlag tagsüber oder des Nachts verübt werden?«
»Ich glaube, kurz
Weitere Kostenlose Bücher