Lichthaus Kaltgestellt
er das Opfer mehrere Tage festgehalten hat. Wir, das heißt ein Assistent und ich, haben das lange diskutiert.«
»Die Informationen waren doch vertraulich«, unterbrach ihn Lichthaus.
»Ich habe ihn ja auch nur ganz theoretisch um seine Meinung gefragt, nicht zu dem konkreten Fall. Wir waren uns beide darin einig, denn wie kann er gefahrlos und geplant eine betäubte Frau in ein Mehrparteienhaus hinein- und wieder hinausschaffen. Das Risiko, entdeckt zu werden, ist zu groß und unser Täter zeigt enormes strategisches Geschick, das würde nicht passen. Darauf komme ich gleich.«
»Und wenn er sie woanders gefangen gehalten hat?«
Von Falkberg schaute Sophie Erdmann strahlend an. »Genau den Punkt habe ich auch überlegt. Natürlich könnte es sein, dass er eine Wohnung bewohnt. Es wäre allerdings sehr viel unbequemer für ihn. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass er sein Opfer in einem frei stehenden Haus untergebracht hat. Und es muss ihm jederzeit zugänglich sein und darf nicht von einer anderen Person bewohnt sein. Ich bin davon überzeugt, dass sie unmittelbar an seinem Wohnort war, sonst hätte er nicht jederzeit Zugriff auf sie gehabt. Wo es liegt, kann ich natürlich nicht sagen. Ein Stollen oder Erdloch kann es jedenfalls nicht gewesen sein, weil die Spuren hierzu keinen Hinweis geben. Die gefundenen Erdspuren stammen ausschließlich vom Fundort. Aber kommen wir zu dem Ort, wo er die Leiche abgelegt hat.« Er kramte aus seinen Unterlagen eine Landkarte des Hochwalds hervor.
»Unser Mann ist intelligent. Ich habe mir den Fundort mal genauer angesehen und dann mit der ganzen näheren Umgebung abgeglichen. Die Stelle ist unauffällig erreichbar und wird forstwirtschaftlich nicht genutzt. Das ist nicht selten, aber der Weg wurde erst kürzlich erneuert, es sind gerade Drainagen verlegt worden, so dass der Graben nicht auffiel. Der Platz wurde so gewählt, dass er den Weg weithin gut einsehen konnte, um rechtzeitig abzuhauen. Einfach perfekt. Auch die Technik, mit der die Tote begraben wurde, ist perfekt. Es wurden keine Spuren eines Baggers gefunden. Nur die Schaufelspuren, deshalb gehe ich davon aus, dass er vom Hänger aus zügig arbeiten, aber auch ebenso schnell abhauen konnte. Das einzige Risiko war der kurze Moment, als die Tote offen im Loch lag. Ich schätze maximal zwei Minuten.«
»Glauben Sie, er hat eine bereits verfeinerte Technik?«, Lichthaus formulierte vorsichtig.
»Sie meinen, ob er schon andere Opfer so weggeschafft hat? Ich weiß es nicht, aber vermutlich ja.«
»Also ein Serienmörder.«
»Vermutlich ja. Aber dazu kommen wir noch.«
»Wieso das Sperma? Einen besseren Beweis kann er doch nicht liefern.«
»Arroganz. Er hält sich für absolut überlegen. Das bringt uns zur zentralen Komponente, seinen geistigen Störungen.«
Sophie Erdmann trank an ihrer Tasse, ohne sich das Geringste anmerken zu lassen, und machte sich nun auch Notizen.
»Er ist ganz klar ein Sadist. Ich gehe davon aus, dass er wie viele Serienmörder Hirnschäden hat, die seine Persönlichkeitsstörungen zumindest biologisch erklären. Er kombiniert dissoziale und narzisstische Störungen miteinander, eine Kombination, die in Verbindung mit sadistischem Tötungsverlangen sehr selten auftritt. Diese Überlagerung erklärt andere Merkmale. Dissozial, weil er wie die meisten Soziopathen gemütsarm ist und alle sozialen Normen ignoriert. Nur so kann er diese Frau tagelang quälen. Ich möchte nicht wissen, wie das arme Mädchen gelitten hat.« Er schaute auf die Fotos der toten Eva Schneider und schüttelte leicht den Kopf. »Wenn Sie mit den Typen reden, sind immer die anderen schuld. Seine Fokussierung auf Frauen wird wohl mit seiner Kindheit zu tun haben. Schauen Sie.« Er legte die Bilder der vergewaltigten Frauen und das von Eva Schneider nebeneinander vor Lichthaus und Sophie Erdmann auf den Schreibtisch. Sie sahen alle verschieden aus. »Die Frauen weisen keine Gemeinsamkeiten auf, doch machen alle den Eindruck einer starken Persönlichkeit. Es kann daher sein, dass er unter einer dominanten Frau, ich denke die Mutter, gelitten hat und ähnliche Typen einen Schlüsselreiz auslösen.«
»Wieso?«, wollte Sophie Erdmann wissen.
»Das ist nur eine Vermutung, doch das Opfer hatte während der gesamten Zeit die Augen verbunden. Warum? Und obwohl er enorm unter Stress litt, hat er sie mit geschlossenen Augen ordentlich mit dem Gesicht nach unten abgelegt. Für mich deutet das auf ein schlechtes Gewissen
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