Lichthaus Kaltgestellt
Müller mir nicht gegeben. Wir hätten den Kerl gehabt.« Er lächelte bitter. »Doch unser Chef entschied, mit wenig Aufwand an die Sache ranzugehen. Und er hat es mir unterschrieben. Eine Kopie des Berichts liegt schon bei Frau Otten. Ich werde gegen diese Entscheidung beim Ministerium Widerspruch einlegen. Noch heute.« Müller starrte ihn wutentbrannt an, doch er beachtete ihn nicht, sondern sprang auf, um zur Tür zu gehen, doch der Präsident hielt ihn zurück.
»Jetzt beruhigen Sie sich doch. Ich kann verstehen, dass Ihnen das alles sehr nahe geht. Die Suspendierung ist nur vorläufig und hat keinen disziplinarischen Hintergrund. Ich glaube auch nicht an Ihre Schuld, aber ich muss reagieren. Bis dahin wird Kriminaldirektor Müller Sie vertreten.« Lichthaus zögerte, dann gab er nach. Wortlos knallte er seinen Ausweis auf den Tisch und ging. In der Tür drehte er sich noch einmal um.
»Den Widerspruch stelle ich bis auf Weiteres zurück. Die Waffe ist bei der Kriminaltechnik.« Er nickte dem Präsidenten zu und verließ das Büro.
Unten traf er auf Sophie Erdmann und Steinrausch. Er informierte sie knapp über seine Freistellung. Beide waren entsetzt, doch verstanden sie seine Bitte, jetzt nicht darüber reden zu wollen. Sie würden Marx informieren. Abends wollte er sie anrufen.
Er ließ sie einfach stehen.
Im Büro packte er seine Sachen zusammen. Ohne darüber nachzudenken, kopierte er sich die wichtigsten Akten und zog alle Dateien des Falls auf einen Stick. Dann verließ er das Präsidium. Zu Hause überfiel ihn die Erschöpfung. Alle Anspannung fiel von ihm ab und machte lähmender Resignation Platz. Die Energie wich aus ihm wie die Luft aus einem Luftballon. Er schlurfte ins Atelier, legte sich auf das alte Sofa und schlief augenblicklich ein.
*
Die Autobahn war frei an diesem Sonntagnachmittag. Lichthaus fuhr in Kenn zügig auf und dann im Autobahndreieck Moseltal in Richtung Wittlich. Er gab Gas, und der träge Berlingo kam langsam auf Touren.
Er würde zu Claudia nach Holland fahren. Musste einfach. Er war irgendwann mit dröhnendem Kopf aufgewacht. Völlig benommen hatte er minutenlang auf dem Sofa gesessen, raus in den Tag gestarrt und auf den Nachhall des Morgens gewartet. Sonne und Wolken machten einander den Himmel streitig und kontrastierten fast ironisch seine Stimmung. Suspendiert. Mitten in dem wohl schwierigsten Fall seiner Karriere rauskatapultiert, nur weil sie einen Sündenbock brauchten. Die Wut hatte ihn dann vom Sofa hochgetrieben. Er wollte schreien, sich austoben, doch niemand war da, der ihm zuhörte. Nach einer zweiten Dusche und einem Tee erwischte er sich, wie er minutenlang in der Küche stand und ins Leere starrte, den Film der Nacht wieder und wieder abspulend. Das verlassene Haus und die verordnete Untätigkeit wurden zum Vakuum, in dem er ziellos umhertrieb, bis er es nicht mehr aushielt. Er war ins Schlafzimmer gelaufen, hatte ein paar Sachen in eine Tasche gestopft, Rasierzeug dazu und schon war es losgegangen. Nicht einmal Claudia hatte er angerufen.
Auf der Höhe von Spangdahlem hatte er sich ein wenig beruhigt. Der Anblick der bergigen Landschaft mit ihren Wäldern und das ruhige Dröhnen des Motors wirkten entspannend auf ihn, und er konnte endlich wieder einen klaren Gedanken fassen.
Die Ermittlungen würden unter Müllers Führung auf der Stelle treten. Der hatte seit Jahren keinen Fall mehr direkt geleitet und sollte nun ausgerechnet in dieser verfahrenen Situation reüssieren. Ohne Detailkenntnis mit einem Rumpfteam. Lichthaus konnte sich vorstellen, wie Müller vorgehen würde. Lange Rasterfahndungen, lange Befragungen und dann der Hilferuf nach dem LKA. Jetzt setzte wieder eine große Unruhe ein. Seine spontane Fahrt nach Holland kam ihm plötzlich wie eine Flucht vor. Aber er fuhr weiter. Sollten sie doch sehen, wie sie klar kamen. Trotzig gab er noch mehr Gas, als plötzlich sein Handy klingelte. Er bremste den Berlingo runter und nahm ab.
»War das Ihr Täter gestern Abend?«, begann von Falkberg grußlos.
»Woher wissen Sie …?«
»Das habe ich mir so zusammengereimt. Die Nachrichten sprachen von einem niedergestochenen Polizisten auf dem Ritterfest. Da musste ich sofort an Ihren Roten Ritter denken.«
»Der Kollege ist tot, gestorben durch seine Hand.« Lichthaus’ Stimme war tonlos. Er fuhr in eine Nothaltebucht und schaltete den Warnblinker ein.
»Das tut mir leid. Sicherlich ein Schock für Sie.« Er wartete und sprach weiter, als
Weitere Kostenlose Bücher