Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
aufgeregten Gekrächz, aber die wütende Gewalttätigkeit war verschwunden.
Noch halb benommen, wagte Will, wieder den Kopf zu drehen; da fühlte er etwas an seiner Wange, und als er die Hand an die Schulter hob, fand er dort eine lange schwarze Feder. Mit einer langsamen Bewegung, wie im Halbschlaf, schob er sie in die Jackentasche.
Gemeinsam schoben sie den beladenen Karren die Straße hinunter nach Hause, das Krächzen hinter ihnen verklang zu einem geheimnisvollen Murmeln, wie das Murmeln der angeschwollenen Themse im Frühling.
Schließlich sagte James: »Krähen tun so etwas nicht. Sie greifen keine Menschen an. Und sie kommen nicht so tief herunter, wenn kein freier Raum da ist. So etwas tun sie einfach nicht.«
»Nein«, sagte Will. Er bewegte sich immer noch wie im Traum, nahm alles nur wie durch einen Schleier wahr. Nur eins war deutlich: ein seltsam unbestimmtes Bohren in seinem Kopf. Mitten in all dem Lärm und Geschwirre hatte ihn plötzlich ein unbekanntes Gefühl überkommen, das stärker war als alles, was er je erlebt hatte: Er war sich bewusst, dass jemand versuchte ihm etwas mitzuteilen, etwas, das ihm entgangen war, weil er die Worte nicht verstehen konnte. Es waren auch nicht eigentlich Worte; es war wie ein stummer Ruf gewesen. Aber es war ihm nicht gelungen, die Botschaft aufzunehmen.
»So, als hätte man das Radio nicht richtig eingestellt«, sagte er laut.
»Was?«, fragte James, aber er hatte gar nicht richtig zugehört. »Das war vielleicht 'ne Sache«, sagte er. »Vermutlich hat der Landstreicher versucht, 'ne Krähe zu fangen. Da sind sie wild geworden. Ich wette, der wird jetzt versuchen, sich ein Huhn oder ein Kaninchen zu klauen. Komisch, dass er kein Gewehr bei sich gehabt hat. Am besten sagen wir der Mama, sie soll heute Nacht die Hunde in der Scheune lassen.« Er plauderte munter weiter, bis sie zu Hause angekommen waren und das Heu ausgeladen hatten.
Will merkte mit Erstaunen, dass der Schrecken über den wütenden Überfall der Vögel in James' Bewusstsein versickerte und dass nach einigen Minuten sogar die Erinnerung an die Tatsache sich verflüchtigt hatte.
Irgendetwas hatte den ganzen Vorfall aus James' Gedächtnis gewischt; etwas, das nicht wollte, dass man darüber sprach. Etwas, das wusste, dass dies auch Will daran hindern würde, darüber zu sprechen.
»Hier, nimm die Pastetenfüllung für Mama«, sagte James. »Lass uns reingehen, bevor wir steif gefroren sind. Der Wind wird immer stärker — gut, dass wir uns beeilt haben.«
»Ja«, sagte Will. Ihm war kalt, aber das kam nicht vom stärker werdenden Wind. Seine Hand schloss sich fest um den Eisenring in seiner Tasche. Diesmal fühlte das Eisen sich warm an.
Als sie in die Küche traten, war die graue Welt draußen ins Dunkel geglitten. Vor dem Fenster stand der kleine ramponierte Lieferwagen ihres Vaters in einer gelben Lichtglocke. In der Küche war es noch lauter und heißer als zuvor. Gwen deckte gerade den Tisch, wobei sie geduldig um drei gebeugte Gestalten, die die Köpfe zusammensteckten, herumsteuerte: Mr. Stanton und die Zwillinge Robin und Paul betrachteten ein kleines, namenloses Maschinenteilchen; und das Radio, bewacht von Marys rundlicher Gestalt, gab mit äußerster Lautstärke Popmusik zum Besten. Als Will in die Nähe kam, ertönte wieder das grässliche Pfeifen und Quietschen, sodass alles mit Grimassen und Geheul in die Höhe fuhr.
»Dreh das Ding ab!«, schrie Mrs. Stanton verzweifelt vom Spülstein her. Aber obgleich Mary schmollend das Geknatter und die darunter begrabene Musik abschaltete, änderte sich der Lärmpegel nur wenig. Es war immer so, wenn mehr als die halbe Familie zu Hause war. Stimmen und Gelächter erfüllten die lang gestreckte, mit Steinplatten ausgelegte Küche, während sie sich um den gescheuerten Holztisch versammelten; die beiden walisischen Collies, Raq und Ci, lagen dösend am Kamin an der Stirnseite des Raumes. Will hütete sich, in ihre Nähe zu kommen; er hätte es nicht ertragen, wenn die eigenen Hunde ihn angeknurrt hätten. Er saß still beim Tee — man nannte es Tee, wenn Mrs. Stanton es fertig brachte, die Mahlzeit vor fünf Uhr auf dem Tisch zu haben, sonst hieß es Abendessen, aber es war immer die gleiche herzhafte Mahlzeit. Will füllte sich den Teller und den Mund immer wieder mit Wurst, damit er nicht zu sprechen brauchte. Nicht, dass seine Stimme im munteren Geschwätz der Familie vermisst worden wäre, besonders nicht, da er das jüngste
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