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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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durchwühlte die Sachen der anderen, kroch unter den Baum und um die noch ungeöffneten Geschenke herum, aber der Brief war nicht da. Natürlich konnte er irrtümlicherweise unter das Packpapier geraten sein; so etwas konnte in diesem Weihnachtsrummel geschehen.
    Aber Will glaubte zu wissen, was mit seinem Brief passiert war. Und er fragte sich, ob es wirklich der Ring seiner Mutter gewesen war, um dessentwillen der Reiter sie besucht hatte — oder ob er etwas anderes suchte.
     
    Bald sahen sie, dass es wieder zu schneien angefangen hatte. Sanft, aber unerbittlich, unaufhaltsam schwebten die Flocken nieder. Die Fußspuren von Mr. Mitothin auf dem Pfad waren bald unsichtbar, als wären sie nie da gewesen. Die Hunde, Raq und Ci, die gebettelt hatten, hinausgehen zu dürfen, kamen und kratzten demütig an die Hintertür.
    »Gelegentlich bin ich ja auch für weiße Weihnachten«, sagte Max und starrte trübsinnig nach draußen. »Aber das hier ist lächerlich.«
    »Es ist außergewöhnlich«, sagte sein Vater, der ihm über die Schulter blickte. »Ich habe noch nie ein solches Weihnachtswetter erlebt, solange ich mich erinnern kann nicht. Wenn heute noch viel herunterkommt, wird es in ganz Südengland ernsthafte Verkehrsprobleme geben.«
    »Daran hab ich auch gedacht«, sagte Max. »Ich wollte übermorgen nach Southampton fahren und Deb besuchen.«
    »O weh mir, weh mir«, sagte James und schlug sich an die Brust.
    Max warf ihm einen Blick zu.
    »Fröhliche Weihnachten, Max«, sagte James.
    Paul kam in Stiefeln ins Wohnzimmer gestampft. Er knöpfte gerade seinen Mantel zu. »Schnee oder kein Schnee, ich geh jetzt läuten. Die Glocken können nicht warten. Kommt einer von euch Heiden heute mit in die Kirche?«
    »Die Nachtigallen werden sich's nicht nehmen lassen«, sagte Max und sah Will und James an. Die beiden bildeten zusammen etwa ein Drittel des Kirchenchores.
    »Wenn du zu einer weihnachtlichen guten Tat bereit wärest, zum Beispiel zum Kartoffelschälen«, sagte Gwen, »dann könnte Mama vielleicht gehen. Sie geht gern, wenn sie die Gelegenheit hat.«
    Die kleine, dick vermummte Schar, die sich schließlich im immer dichter werdenden Schneetreiben auf den Weg machte, bestand aus Paul, James, Will, Mrs. Stanton und Mary, die wahrscheinlich mehr daran interessiert war, der Hausarbeit aus dem Weg zu gehen, als ihren religiösen Pflichten nachzukommen. Während sie die Straße hinunterstapften, fiel der Schnee immer schneller. Er brannte auf der Haut. Paul war vorausgegangen und bald begannen die taumelnden Klänge der sechs lieblichen alten Glocken, die in dem niedrigen viereckigen Turm hingen, die wirbelnde weiße Welt zu erfüllen und mit neuem Weihnachtsglanz zu bedecken. Will fasste bei ihrem Klang wieder etwas Mut; doch die Zähigkeit, mit der dieser neue Schnee fiel, machte ihn besorgt. Er konnte den bedrückenden Verdacht nicht abschütteln, dass dieser Schnee von der Finsternis geschickt war, als Vorläufer von etwas anderem. Er vergrub die Hände tief in die Taschen seiner Schaffelljacke und dabei schlossen sich die Finger der einen Hand um die Krähenfeder, die seit dem schrecklichen Abend vor der Wintersonnenwende dort steckte. Er hatte sie ganz vergessen gehabt.
    Vor der Kirche standen auf der verschneiten Straße vier oder fünf Autos; sonst waren es am Weihnachtsmorgen mehr, aber nur wenige Dorfbewohner, die weiter entfernt wohnten, hatten sich in den wirbelnden weißen Nebel hinausgewagt. Will betrachtete die dicken weißen Flocken, die dreist und ohne zu schmelzen auf seinem Jackenärmel lagen; es war sehr kalt. Sogar drinnen in der kleinen alten Kirche blieben die Flocken hartnäckig liegen, es dauerte sehr lange, bevor sie anfingen zu schmelzen. Er ging mit James und einer Hand voll anderer Chorknaben in den engen Flur zur Sakristei, um dann, als das Glockengeläut in den Beginn des Gottesdienstes überging, in einer kleinen Prozession durch das Kirchenschiff zu ziehen und auf die kleine Empore hinaufzusteigen. Von da konnte man jeden sehen und es war klar, dass die Kirche des heiligen Jakob des Jüngeren nicht, wie sonst an Weihnachten, überfüllt, sondern nur halb voll war.
    Das Morgengebet nahm seinen feierlichen, für den Weihnachtstag festgelegten Gang, angeführt vom genussvoll theatralischen Bassbariton des Pfarrers.
    »O ihr, Frost und Kälte, preiset den Herrn und verherrlicht ihn in Ewigkeit«, sang Will und fand, dass Mr. Beaumont einen gewissen trockenen Humor gezeigt hatte, als er

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