Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
durchdringen. Es war, als stünde eine unsichtbare Barriere um sie herum, durch die kein Zauber zu reichen vermochte.
Will stand ein kleines Stück von den Thronen entfernt und sah hinauf. Die Gesichter der drei Herren lagen verborgen in den Schatten ihrer Kapuzen. Einen Augenblick lang herrschte Stille, nur unterbrochen von dem leisen Prasseln des brennenden Feuers, dann sagte eine tiefe Stimme aus den Schatten heraus:
»Wir begrüßen dich, Will Stanton. Und wir nennen dich nach dem Zeichen: Will Stanton, Zeichen-Sucher.«
»Ich grüße Euch«, sagte Will und versuchte, so laut und klar wie möglich zu sprechen. Dann zog er den Ärmel wieder über seinen vernarbten Arm. »Ihr Herren«, sagte er, »dies ist der Tag der Toten.«
»Ja«, sagte die Gestalt in der hellen Robe. Ihr Gesicht im Schatten der Kapuze schien hager, ihre Augen glänzten, und ihre Stimme klang leise, zischend und pfeifend. »Jaaa ...« Echos flüsterten wie Schlangen aus dem Dunkel, als kämen hundert andere kleine zischende Stimmen von den namenlosen Wesen hinter ihm, und Will spürte, wie sich die kurzen Haare in seinem Nacken sträubten. Hinter ihm hörte er Bran gedämpft aufstöhnen und wusste, dass Grauen ihn wie ein weißer Nebel erfassen musste. Als einer der Uralten rebellierte Will mit der ihm verliehenen Stärke. Er sagte rasch und in kaltem Vorwurf: »Mein Herr?«
Das Grauen verschwand wie eine Wolke, die der Wind vertrieben hat, und der Herr in der hellblauen Robe lachte leise. Will stand unbewegt und mit gerunzelter Stirn vor ihm: ein kleiner stämmiger Junge in Jeans und Sweater, der dennoch wusste, dass er die Macht besaß, diesen drei Herren gegenüberzutreten. Er sagte, voller Selbstvertrauen jetzt: »Dies ist der Tag der Toten und der Jüngste hat die ältesten Berge geöffnet, durch die Tür der Vögel. Und das Auge der Hohen Magie hat ihm Durchgang gewährt. Ich bin gekommen, um die goldene Harfe zu holen, ihr Herren.«
Die zweite Gestalt in der meerblauen Robe sagte: »Und der Raben-Junge ist mit dir gekommen.«
»Ja.«
Will drehte sich um zu Bran, der unschlüssig näher am Feuer stand, und winkte ihn heran. Bran kam sehr langsam näher. Er bewegte die Füße so widerwillig, als schwämmen sie durch Sirup, und blieb dann neben Will stehen. Das Licht von den Fackeln an den Wänden schimmerte auf seinem weißen Haar.
Der Herr in der meerblauen Robe beugte sich von seinem Thron ein wenig vor; sie erhaschten einen Blick auf ein scharf geschnittenes, kraftvolles Gesicht und auf einen grauen Spitzbart. Er sagte erstaunlicherweise: »Cafall?«
Der weiße Hund stand aufrecht und bebend neben Bran. Er bewegte sich keinen Zoll vor, als gehorche er einer inneren Anweisung, die ihm sagte, wo sein Platz war, aber er wedelte so heftig mit dem Schwanz, wie er es sonst nur bei Bran tat. Er gab ein kleines, leises Winseln von sich.
Weiße Zähne glänzten in dem von der Kapuze verhüllten Gesicht auf. »Sein Name ist gut gewählt. Gut gewählt.«
Bran sagte eifersüchtig, plötzlich zutiefst besorgt: »Es ist mein Hund!« Dann fügte er gedämpfter hinzu: »Mein Herr.« Will spürte, wie seine eigene Kühnheit Bran erschreckte.
Aber das Lachen aus den Schatten klang freundlich. »Keine Angst, Junge. Die Hohe Magie würde dir nie deinen Hund wegnehmen. Gewiss würden auch die Uralten es nicht tun, und die Finsternis könnte es versuchen, würde aber keinen Erfolg haben.« Er beugte sich plötzlich vor, sodass für einen Augenblick das kraftvolle bärtige Gesicht deutlich zu sehen war; seine Stimme wurde leiser, und eine tiefe Traurigkeit klang aus ihr. »Nur die Geschöpfe der Erde nehmen einander etwas weg, Junge. Alle Geschöpfe, aber die Menschen mehr als alle anderen. Leben nehmen sie, und Freiheit, und alles, was ein anderer besitzen mag — manchmal aus Habgier, manchmal aus Dummheit, aber immer aus eigenem Entschluss. Hüte dich vor den Menschen, Bran Davies — sie sind die Einzigen, die dir je ein Leid zufügen werden.«
Furcht regte sich in Will, als er die tiefe Traurigkeit in der Stimme spürte, denn es sprach ein Mitgefühl aus ihr, das allein Bran galt, als stünde Bran am Anfang eines langen kummervollen Weges. Er fühlte, dass eine geheimnisvolle Nähe zwischen diesen beiden bestand, und er wusste, dass der Herr in der meerblauen Robe versuchte, Bran Stärke und Hilfe zu geben, ohne die Gründe dafür erklären zu können. Dann lehnte die verhüllte Gestalt sich plötzlich zurück und die Stimmung war
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