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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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Strände bis in die breite Mündung des Dyfi, der jetzt, bei Flut, blau und voller Wasser war. Und dahinter, jenseits des Streifens flachen Marschlandes am anderen Ufer der Flussmündung, zogen sich die Berge von Mittelwales am Horizont dahin, purpurfarben und braun und mattgrün, und wechselten unter den über den Sommerhimmel segelnden Wolken ständig die Farbe, veränderten das Aussehen.
    »Nein«, sagte Jane. »Wir sind noch nie in Wales gewesen, Barney. Aber Dads Großmutter ist hier geboren. Genau hier, in Aberdyfi. Vielleicht können Erinnerungen im Blut liegen.«
    »Im Blut liegen!«, sagte Simon verächtlich. Er hatte vor kurzem verkündet, dass er nicht zur See gehen, sondern Arzt werden wolle wie ihr Vater, und die Nebenwirkungen dieser schwer wiegenden Entscheidung stellten allmählich Janes und Barneys Geduld auf die Probe.
    Jane seufzte. »So habe ich es nicht gemeint.« Sie fischte in der Tasche ihrer Bluse herum. »Hier. Zeit für einen Imbiss. Esst ein Stück Schokolade, bevor sie schmilzt.«
    »Gern!«, sagte Barney prompt.
    »Und erzähl mir nicht, dass es schlecht für unsere Zähne ist, Simon, weil ich das selber weiß.«
    »Natürlich ist es das«, sagte ihr älterer Bruder mit einem entwaffnenden Grinsen. »Eine Katastrophe. Wo ist mein Stück?«
    Sie kauten zufrieden Schokolade mit Früchten und Nüssen und blickten hinunter über die Flussmündung.
    »Ich weiß einfach, dass ich schon einmal hier gewesen bin«, sagte Barney.
    »Hör endlich auf«, sagte Jane. »Du hast Bilder gesehen.«
    »Ich weiß es.«
    »Wenn du schon einmal hier gewesen bist«, sagte Simon ergeben, »kannst du uns sagen, was wir sehen werden, wenn wir auf den Kamm des Berges kommen.«
    Barney drehte sich um, strich sich die blonden Haare aus der Stirn und starrte über den Farn und den grünen Hang nach oben. Er sagte nichts.
    »Noch einen Kamm«, sagte Jane vergnügt. »Und von dort aus noch einen.«
    »Was werden wir sehen, Barney?« Simon war hartnäckig. »Den Cader Idris? Den Snowdon? Irland?«
    Barney sah ihn einen langen Augenblick ausdruckslos und mit leeren Augen an. Endlich sagte er: »Jemanden.«
    »Jemanden? Wen?«
    »Das weiß ich nicht.« Er sprang plötzlich auf. »Wenn wir hier den ganzen Tag sitzen, werden wir es nie herausfinden, oder? Mal sehen, wer schneller ist!«
    Er schoss auf den Hang zu und eine Sekunde später war Simon ihm voller Selbstvertrauen auf den Fersen.
    Jane sah ihnen lächelnd nach. Während ihr jüngerer Bruder so verhältnismäßig klein und zierlich geblieben war wie im vergangenen Jahr, schien Simon plötzlich Beine wie eine Giraffe entwickelt zu haben, viel zu lang für seinen Körper. Es gab selten ein Wettrennen in der Familie, das er nicht gewann.
    Ihre beiden Brüder waren irgendwo über ihr verschwunden. Die Sonne brannte ihr auf den Nacken, während sie langsam hinter ihnen herkletterte. Sie stolperte über einen vorstehenden Stein und blieb stehen. Irgendwo weit weg auf dem Berg summte der Motor eines Traktors; über ihr tschilpte ein Pieper. Die Felsenvorsprünge führten hier in ungleichmäßigen Windungen auf die Höhe des Kamms, durch Farn und Stechginster und schwellende Polster von Heidekraut; Glockenblumen schauten wie Sterne aus dem niedrigen, von Schafen heruntergefressenen Gras und kleine Ranken mit weißen Blüten, die sie nicht kannte. Tief, tief unter ihr wand sich die Straße wie ein Faden am dünenumrandeten Golfplatz vorbei und an den ersten grauen Dächern von Aberdyfi. Jane schauderte plötzlich und fühlte sich sehr allein.
    »Simon!«, rief sie. »Barney!«
    Niemand antwortete. Die Vögel sangen. Die Sonne brannte von einem leicht dunstigen blauen Himmel herunter; nirgends bewegte sich etwas. Dann hörte Jane sehr leise eine lange, seltsame Tonfolge. Hoch und klar, wie ein Jagdhorn, doch nicht so rau und fordernd. Wieder ertönte die Melodie, diesmal näher. Jane merkte, dass sie lächelte, während sie zuhörte; es war ein liebliches, anziehendes Geräusch, und plötzlich war sie von einem drängenden Verlangen erfüllt herauszufinden, woher es kam, welches Instrument so schöne Töne von sich gab. Sie kletterte rascher bergauf, bis sie auf einmal den letzten Felsvorsprung überwunden hatte und vor sich die ersten Meter der Kammlinie sah. Der lange, liebliche Ton erklang wieder, und auf dem höchsten grauen Granitblock, der in den Himmel zu reichen schien, sah sie einen Jungen, der gerade das kleine gebogene Horn von den Lippen nahm, auf dem er eben

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