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Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga

Titel: Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cooper
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grüßte, aber es ignorierte auch keiner ihr Vorbeifahren wie zuvor; diesmal wandten sich alle Köpfe der Kutsche zu.
    Sie fuhren langsamer und schwankten um eine Kurve. Will und Bran schauten hinaus und sahen, dass sie durch einen überwölbten Eingang hindurch in einen Hof einbogen. Hohe, mit Säulen geschmückte Wände ragten auf allen Seiten empor, mit großen, neunscheibigen Fenstern; über der Dachbrüstung erhoben sich bizarre, nadelspitze Türme. Alle Fenster waren leer; nirgends sahen sie ein Gesicht.
    Die Kutsche blieb stehen und sie kletterten hinaus. Vor ihnen führte eine sich nach oben verjüngende Treppe hinauf zu einer mit Säulen gesäumten, rechteckigen Tür, die mit Schnörkeln und geschnitzten Figuren verziert war — und, alles beherrschend, mit einem Abbild des Wappens mit dem springenden Fisch von der Kutschentür.
    Will und Bran schauten einander an und dann nach vorn. Die Tür stand offen. Nur Dunkelheit schien sie drinnen zu erwarten.
    Gwion sagte hinter ihnen: »Dies ist der Palast von Gwyddno Garanhir. Der Leere Palast, so wird er seit dem Tag genannt, als der König sich in seine Burg am Meer zurückzog und sie nie wieder verließ. Geht zusammen hinein. Ich werde euch drinnen treffen, wenn ihr den Weg findet.«
    Will schaute sich um. Die prächtige Kutsche und die nachtschwarzen Pferde waren verschwunden. Der große Hof des Palastes war leer. Gwion stand am Fuß der Treppe, eine zierliche dunkle Gestalt. In seinem nach oben gewandten bärtigen Gesicht standen plötzlich unerklärlicherweise deutliche Linien der Besorgnis. Er war angespannt, wartete auf etwas.
    Will nickte. Er wandte sich wieder der gewaltigen offenen Tür des Palastes zu. Bran stand dort und starrte in die Düsternis. Er hatte sich nicht mehr gerührt seit einiger Zeit, bevor Gwion sprach. Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Gehen wir also.«
    Nebeneinander gingen sie hinein. Mit einem lang gezogenen Knarren und einem tiefen, widerhallenden Krachen schlug die riesige Tür hinter ihnen zu. Im gleichen Augenblick wurde aus der Dunkelheit eine leuchtend weiße Helligkeit. Will hatte einen Augenblick Zeit, Bran zurückzucken und die Hände schützend vor die Augen halten zu sehen, bevor ihm zum Bewusstsein kam, was vor ihnen lag. Ihm stockte der Atem.
    Rund um sie herum, in einem endlosen grellen Glitzern, befanden sich unzählige, sich immer wiederholende Spiegelbilder von ihm selbst und Bran. Er drehte sich um die eigene Achse und starrte die Bilder an; die Will-Bilder drehten sich ebenfalls um, eine lange Reihe, die in den Raum zurückwich. Er schrie und erwartete unwillkürlich ein unendlich oft wiederholtes Echo, das immer weiter hin und her tanzte, geradeso wie die Bilder sich vor seinen Augen ständig wiederholten. Aber nur der eine Ton hallte dumpf um sie herum und erstarb.
    Diesem Ton entnahm Will aus irgendeinem Grund die Vorstellung, dass der Raum, in dem sie standen, lang und schmal sein musste.
    »Ist es ein Flur?«, fragte er verwirrt.
    »Spiegel!« Bran sah wild um sich, die Augen sogar hinter der dunklen Brille zu Schlitzen zusammengekniffen. »Überall Spiegel. Es
besteht
aus Spiegeln.«
    Wills Gedanken lösten sich aus dem Wirbel der Bestürzung; er fing an auszusortieren, was er erkennen konnte. »Spiegel, ja. Mit Ausnahme des Bodens.« Er schaute hinunter auf die schimmernde Dunkelheit. »Und der ist aus schwarzem Glas. Sieh nur, rauf und runter; es ist ein Flur, ein langer, gewundener Flur, der nur aus Spiegeln besteht.«
    »Ich seh mich zu oft«, sagte Bran mit einem unbehaglichen Lächeln. In jedem Gesicht blitzte es weiß auf, als die endlosen Reihen von Bran-Abbildern gleichzeitig lachten — und dann ernüchtert dreinschauten.
    Will machte ein paar unsichere Schritte und zuckte zusammen, als die Spiegelbilder sich mit ihm bewegten. Die Biegung des Flures gab den Blick etwas weiter frei, zeigte aber nichts anderes als die gleiche Helligkeit, wie eine leuchtende leere Seite in einem riesigen Buch. Will streckte die Hand aus und zupfte Bran am Ärmel.
    »He! Bleib neben mir. Wenn jemand anderes da ist, auch wenn du ihn nur aus dem Augenwinkel siehst, machen dich all die Spiegelbilder nicht so schwindelig.«
    Bran trat neben ihn. Er sagte unsicher: »Du hast Recht.« Aber als sie ein kleines Stück weitergegangen waren, blieb er plötzlich stehen; er sah bedrückt und krank aus. »Das hier ist
schrecklich«,
sagte er mit angespannter Stimme. »Das Glas, die Helligkeit, alles ist so bedrängend nahe.

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