Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
schimmernde Turm ragte jetzt höher auf, obwohl Bäume ihn fast den Blicken entzogen. Sie sahen, dass er eine mit Streifen aus Kristall und Gold verzierte Kuppel trug, genau wie die Kuppel des königlichen Palastes in der Stadt. Selbst der zum Meer zeigende goldene Pfeil auf der höchsten Spitze war da.
Dann befanden sie sich zwischen einigen verkrüppelten Weidenbäumen. Das Geräusch fließenden Wassers wurde immer lauter, und plötzlich stießen sie auf einen schilfgesäumten Bach, der für einen Wasserlauf auf so flachem Land merkwürdig schnell dahinströmte. Er kam ihnen in einem Bogen entgegen und schien von der Stadt her auf den Dyfi zuzufließen, um sich auf dem Weg zum Meer mit ihm zu vereinen. Das Wasser sah klar und kühl aus.
»Ich habe Durst!«, sagte Bran. »Drück mir die Daumen.« Er tauchte eine Hand ins Wasser und kostete; dann zog er eine Grimasse.
Will fragte bitter enttäuscht: »Salz?«
»Nein«, sagte Bran, »es ist völlig in Ordnung.« Er wich Wills geballter Faust geschickt aus, und beide streckten sich auf dem grasbedeckten Ufer aus und tranken durstig und bespritzten ihre erhitzten Gesichter, bis ihr Haar tropfnass war.
Auf einem Stück glatter Wasseroberfläche an der windgeschützten Seite eines Felsens sah Will Brans Spiegelbild und konnte sich nicht davon losreißen. Nur das Glitzern der gelbbraunen Augen sah wirklich nach Bran aus, denn Schatten färbten das Gesicht dunkel und das nasse Haar wirkte dunkel und hell gestreift. Das ganze veränderte Bild erinnerte Will auf seltsame Weise an irgendetwas. Er sagte scharf: »So habe ich dich irgendwo schon einmal gesehen.«
»Natürlich hast du mich schon einmal gesehen«, sagte Bran träge. Er neigte den Kopf hinunter und pustete ins Wasser, sodass Blasen entstanden und das Spiegelbild zerstörten. Das Wasser kräuselte sich in unzähligen verschiedenen Oberflächen, glitzernd und wirbelnd, und auf einmal schien sehr viel Weiß in dem Muster zu sein. Ein kleiner warnender Ton erklang in Wills Kopf. Er rollte sich herum und sah die Gestalt des Weißen Reiters, mit Kapuze, auf seinem weißen Pferd sich gegen den Himmel über ihnen abhebend.
Bran hob den Kopf aus dem Wasser, spuckte und zog sich den grünen Faden einer Wasserpflanze aus dem Mund. Er rieb sich das Wasser aus den Augen, sah auf — und wurde plötzlich sehr still.
Der Weiße Reiter blickte hinunter auf Will, mit glänzenden Augen in einem im Schatten der Kapuze trübweiß aussehenden Gesicht. »Wo ist dein Meister, Uralter?« Die Stimme war leise und zischend und kam ihnen sonderbar bekannt vor, obwohl sie wussten, dass sie sie noch nie gehört hatten.
Will sagte kurz: »Er ist nicht hier. Wie Sie wissen.«
Das Lächeln des Weißen Reiters funkelte. »Und er hat dir zweifellos erzählt, dass etwas ihn davon abgehalten habe zu kommen, und du warst so naiv, ihm zu glauben. Der Lord Merriman ist schlauer als du, Uralter. Er kennt die Gefahren, die hier lauern, und hütet sich davor, sich ihnen auszusetzen.«
Will stützte sich bedächtig auf die Ellbogen. »Und Sie sind mehr als naiv, wenn Sie denken, Sie könnten mich mit solchem Geschwätz treffen. Die Finsternis muss in trauriger Verfassung sein, wenn sie es für nötig hält, die Tricks von Schwachsinnigen anzuwenden.«
Der Weiße Reiter straffte den Rücken; er sah auf unerklärliche Weise gefährlicher als vorher aus. »Geht zurück«, sagte die leise zischende Stimme kalt. »Geht zurück, solange ihr es noch könnt.«
»Dazu können Sie uns nicht zwingen«, sagte Will.
»Nein«, entgegnete der Weiße Reiter. »Aber wir können erreichen, dass ihr wünscht, ihr wäret nie gekommen. Besonders ...«, der flackernde Blick seiner glitzernden Augen ruhte auf Bran ..., »besonders der weißhaarige Junge.«
Will sagte leise: »Sie wissen, wer er ist, Reiter. Er hat Anspruch auf einen Namen.«
»Die Kraft ist ihm noch nicht verliehen worden«, sagte der Weiße Reiter. »Und bis dahin ist er ein Nichts. Und er wird für ewig ein Nichts bleiben, nicht mehr als ein Kind eures Jahrhunderts, denn ohne deinen Meister habt ihr keine Hoffnung, das Schwert zu erringen. Geht zurück, Uralter, geht zurück!« Die leise Stimme erhob sich zu einer näselnden, dröhnenden Forderung und das weiße Pferd bewegte sich unruhig. »Geht zurück«, sagte der Reiter, »und wir werden euch sicheres Geleit gewähren, aus dem Verlorenen Land in eure eigene Zeit.«
Das Pferd bewegte sich wieder unruhig. Der Weiße Reiter gab einen
Weitere Kostenlose Bücher