Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
deutlich Züge des Schmerzes. Er fragte ruhig: »Woher, denkst du, wurde die Mari Llwyd herbeigerufen, die dich fast um den Verstand gebracht hat, Bran Davies? Wer, denkst du, ersann das Spiegellabyrinth? Was an ungekannter Verzweiflung steht dir jetzt bei der Aufgabe gegenüber, die fast unmöglich zu bewältigen ist, der Aufgabe, zum Verlorenen König und seinem Kristallschwert vorzudringen? Glaubst du, dass die Finsternis mit all diesem viel zu tun hat? O nein. Hier ist die Finsternis nahezu hilflos, verglichen mit den Kräften, die in das Land gehören. Es ist das Verlorene Land, mit dem du deine Kräfte misst, und du kannst alles gewinnen und alles verlieren.«
»Und das ist die Wilde Magie«, sagte Will langsam. »Oder etwas sehr Verwandtes.«
»Eine Form der Wilden Magie«, erwiderte Gwion. »Und noch mehr.«
Bran blinzelte ihn unsicher an. »Und Sie sind ein Teil davon?«
»Ach«, sagte Gwion nachdenklich. »Ich bin ein Abtrünniger, ich gehe meinen eigenen Weg. Und obwohl ich mein Land zutiefst liebe, wird mir hier nichts Gutes widerfahren.« Er wandte Bran plötzlich sein gewinnendes Lächeln zu, das wie ein Wärmestrahl war, und wies mit dem Kopf nach vorn. »Seht dort — bedient euch nur.«
Ein alter, verästelter Apfelbaum neigte sich vor ihnen dem Boden zu wie ein uralter Mann mit gebeugtem Rücken; es war der einzige Baum, der in die Breite und nicht in die Höhe wuchs und sie nicht überragte. Kleine gelbe Äpfel und andere, noch kleinere, leuchtend grüne hingen zwischen den wenigen Blättern an den dunklen Zweigen. Bran riss die Augen weit auf. »Die Äpfel vom letzten Jahr
und
die von diesem?« Er pflückte einen gelben Apfel und biss in die saftige, harte Frucht.
Gwion lachte in sich hinein. »Zwei Jahre hängen sie manchmal dort. Ihr dürft nicht vergessen, dass dieser Apfelbaum lange vor eurer Zeit gewachsen ist. Es gibt viele Dinge in eurer Zeit, von denen hier nicht einmal geträumt wurde, als unser Land unterging — außer von Uralten. Aber ebenso gab es einst bemerkenswerte Dinge, die für immer untergegangen sind, zusammen mit dem Land.«
Will fragte leise: »Für immer?« Er pflückte einen gelben Apfel und hielt ihn hoch, während seine Augen Gwion zulächelten.
Gwion erwiderte sein Lächeln mit einem merkwürdig abwesenden Blick. »Für immer und ewig, sagen wir, wenn wir jung sind, oder in unseren Gebeten. Nicht wahr, Uralter, das tun wir doch? Für immer und ewig, damit etwas für immer währt, ein Leben oder eine Liebe oder eine Suche, und doch wieder von vorn anfangen kann und für immer anhält, gerade so wie zuvor. Und jedes Ende, das sich abzuzeichnen scheint, ist kein wirkliches Ende, sondern eine Täuschung. Denn Zeit stirbt nicht, Zeit hat weder Anfang noch Ende, und so kann nichts aufhören oder sterben, was einmal in ihr stattgefunden hat.«
Bran wandte sein blasses Gesicht von Gwion zu Will, aß seinen Apfel und sagte nichts.
Will sagte: »Und hier stehen wir, in einer Zeit, die seit langem vergangen ist und die noch nicht gekommen ist.
Hier.«
Bran sagte plötzlich unerwartet: »Ich war schon einmal hier.«
»Ja«, sagte Gwion. »Du bist hier geboren. Unter vielen Bäumen wie diesem.«
Will sah rasch auf, aber Bran sagte nichts mehr. Auch Gwion schwieg, aber er trat näher an den alten Apfelbaum und brach drei schwärzliche, verkrüppelte Zweige ab.
Statt seiner Stimme ertönte hinter ihnen eine andere: eine leise Stimme mit einem undefinierbaren Akzent. »Und der Junge, der hier geboren ist, wird vielleicht feststellen, dass er hier bleibt — für immer und ewig.« Boshafter Spott verschärfte die Stimme, sodass sie klang wie eine Peitsche. »Und das ist eine sehr lange Zeit, meine Freunde, wie metaphysisch wir sie auch betrachten mögen.«
Will drehte sich bedächtig um und sah die hoch gewachsene, schwarz gekleidete Gestalt auf dem schwarzen Hengst vor sich.
Der Schwarze Reiter hatte die Kapuze zurückgeschoben; das Sonnenlicht schimmerte auf seinem dichten kastanienbraunen Haar, das einen rötlichen Ton hatte wie das Fell eines Fuchses, und seine glänzenden Augen brannten wie blaue Kohlen. Hinter ihm, etwas entfernt, warteten schweigend andere berittene Gestalten, alle ganz in Schwarz oder ganz in Weiß, neben jedem Baum eine, und andere dahinter, die Will nicht deutlich sehen konnte.
»Jetzt gibt es keine Warnungen mehr, Uralter«, sagte der Schwarze Reiter. »Jetzt wird es nur noch um eine einfache Herausforderung und um eine Drohung gehen. Und um
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