Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
Gezwitscher der Vögel in der einfallenden Dämmerung. Wie spät mochte es wohl sein? Es kam ihm vor, als hätte die Jagd eine Woche gedauert. Die Muskeln seiner Beine begannen, in ihrer verkrampften Lage zu schmerzen, aber er wartete noch, horchte angestrengt auf einen Laut, der ihm verriet, dass der Mann und der Junge noch in der Nähe waren.
Schließlich entschied er, dass sie die Straße hinuntergegangen und außer Sicht sein mussten. Das Manuskript fest in der einen Hand haltend, teilte er mit der andern die Zweige vor seinem Gesicht und trat auf die Auffahrt hinaus. Niemand war da, nichts bewegte sich.
Simon ging auf Zehenspitzen über den Kies und spähte um den Torpfosten herum. Er konnte niemanden sehen, und mit wachsender Zuversicht trat er durch das Tor, um auf die Straße zurückzugehen, von der er gekommen war.
Erst als er mehrere Schritte nach draußen gegangen war, sah er Bill und den dunklen Mann. Sie standen deutlich sichtbar, etwa fünfzig Meter entfernt, neben der Mauer.
Simon schnappte nach Luft, er fühlte, wie sich ihm der Magen vor Entsetzen drehte. Einen Augenblick stand er da, unsicher, ob er in sein Versteck zurückhuschen sollte, bevor sie ihn gesehen hatten. Aber während er noch wie betäubt zögerte, wandte Bill den Kopf, stieß einen Schrei aus und setzte sich in Bewegung. Der Mann, der gemerkt hatte, was geschah, kam hinter ihm her.
Simon hatte sich schon zur Flucht gewandt und stürzte auf die Hauptstraße zu. Plötzlich erschien das Schweigen ringsum ebenso bedrohlich wie in dem beschatteten Hohlweg. Simon sehnte sich nach der Sicherheit einer Menschenmenge, nach Leuten und Autos; dann hätte er wenigstens nicht mehr dies schreckliche Gefühl, allein zu sein, während er hinter sich die hämmernden Schritte des unnachgiebigen Verfolgers hörte.
Es ging die Seitenstraße entlang, um die Ecke und an der Kirchhofsmauer vorbei, schneller, immer schneller; Simons Mut sank, während er lief, seine Beine waren nach dem verkrampften Stillhalten im Gebüsch steif, sein ganzer Körper war erschöpft. Er wusste, er würde nicht mehr lange durchhalten können.
Ein Auto kam an ihm vorbei; es fuhr schnell in der entgegengesetzten Richtung. Wilde Gedanken fuhren Simon durch den Kopf, während er die harten Stöße der Straße durch die dünnen Gummisohlen hindurch spürte: Er könnte einem Auto winken und schreien, er könnte vielleicht in einem der kleinen Häuser Zuflucht suchen, die jetzt, da er sich dem Dorf näherte, vereinzelt an der Straße standen. Aber der Junge hatte jetzt einen erwachsenen Mann bei sich, und dieser Mann konnte jedem Fremden, den Simon um Hilfe bat, irgendeine Geschichte erzählen, und der Fremde würde sie wahrscheinlich glauben ...
»Bleib stehn!«, rief eine dunkle Stimme hinter ihm. Verzweifelt versuchte Simon, noch schneller davonzustürzen. Wenn sie ihn fingen, war alles vorbei. Dann hatten sie das Manuskript und damit das ganze Geheimnis. Dann konnte er nichts mehr tun, dann hatte er seinen Auftrag verfehlt, hatte Gummery im Stich gelassen ...
Sein Atem ging jetzt schwer und mühsam und er stolperte beim Laufen. Vor ihm lag eine Straßenkreuzung. Die schnellen, entschlossenen Schritte hinter ihm wurden immer lauter; fast hörte er schon den Atem seines Verfolgers. Er hörte den Jungen mit Triumph in der Stimme rufen: »Schnell ... jetzt ...« Die Stimme war weiter entfernt als die Schritte. Es musste der Mann sein, der jetzt hinter ihm her war, er war ihm auf den Fersen, die stampfenden Füße kamen näher, immer näher ...
Es brauste in Simons Ohren, während er nach Atem rang. Die Straßenkreuzung lag dicht vor ihm, aber er konnte sie kaum erkennen. Halb unbewusst hörte er einen Automotor aufbrüllen, es war jetzt ganz nah, aber sein erschöpftes Gehirn nahm es kaum wahr. Dann ein Klappern und das Quietschen von Bremsen. Und mitten auf der Kreuzung wäre er beinahe mit der rostigen Motorhaube eines großen Wagens zusammengestoßen.
Simon bremste schlitternd und versuchte, dem Wagen auszuweichen, er hatte nur Sinn für die Gefahr, die ihm dicht auf den Fersen war. Und dann war es, als würde durch den dunklen Himmel plötzlich wieder die Sonne hindurchbrechen: Er merkte, dass es Großonkel Merry war, der sich aus dem Wagenfenster beugte.
Der Motor des Wagens brüllte wieder auf. »Auf die andere Seite. Steig ein!«
Schluchzend vor Erleichterung, stolperte Simon um den großen Kombiwagen herum und riss die Tür auf der anderen Seite auf. Er fiel in
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