Lichtjäger - Die Wintersonnenwende-Saga
ihr keine Ahnung habt.«
Sie wandte sich schroff von ihnen ab und ging mit langen, schnellen Schritten den Abhang hinunter hinter Simon her. Sie beobachteten ihren wütend aufgereckten Rücken, während sie den Zickzackpfad entlanglief, bis sie über den Rand des Vorgebirges verschwunden war.
»Komm«, sagte Barney. »Wir müssen Gummery finden. Simon wird Hilfe brauchen.«
Das trockene Gras war unter Simons Füßen wie poliertes Holz, es bot ihm keinen Halt, während er den Abhang hinunterrutschte und -schlitterte. Manchmal war er auf den Füßen, manchmal glitt er auf dem Rücken und den Ellbogen, aber immer hielt er den einen Arm vorgestreckt, um das Manuskript vor Schaden zu bewahren. Hinter sich hörte er den Jungen aus dem Dorf mit schwerem Schritt rutschen und stolpern, sein Atem ging keuchend, und wenn er den Halt verlor und stürzte, schnappte er nach Luft und fluchte.
Während Simon lief, sah er die andere Hafenseite vor sich und hatte das Gefühl, er könnte geradewegs ins Wasser hineinspringen. Der Abhang kam ihm viel steiler vor als beim Aufstieg, er fiel in einer scheinbar endlosen grünen Kurve vor ihm ab. Sein Herz klopfte wild; er war zu sehr darauf bedacht, nur wegzukommen, um sich vorzustellen, was geschehen würde, wenn der Junge ihn einholte. Aber dann ließ mit jedem Augenblick die Angst, die ihm in der Magengrube saß, ein wenig nach.
Alles kam jetzt auf ihn an — er musste das Manuskript in Sicherheit bringen, er musste davonkommen. Fast empfand er Freude. Dies war etwas, was er verstehen konnte; es war wie ein Wettrennen oder eine Prügelei in der Schule, er, Simon, gegen Bill. Und er wollte gewinnen. Keuchend blickte er über die Schulter nach hinten. Der Junge schien ein wenig aufzuholen. Simon ließ sich den Rest des Abhangs hinunterfallen, er rutschte und plumpste auf dem Rücken abwärts, was erschreckend schnell ging, nur manchmal kam er für ein paar Augenblicke auf die Füße und tat ein paar stolpernde Schritte.
Dann kam er plötzlich, schwankend und nach Atem ringend, unten an. Mit einem kurzen Blick auf den nachkommenden Bill, der ihm wütend zuschrie, als er seinen Blick bemerkte, war Simon auf und davon. Wie ein Hase rannte er über die Wiese und fühlte, wie seine Zuversicht wuchs. Aber den Jungen konnte er nicht abschütteln. Der Dorfjunge war größer, stärker und hatte längere Beine; mit grimmiger Entschlossenheit stampfte er hinter ihm her, mit schwerem Schritt zwar, aber ohne dass der Abstand sich vergrößert hätte. Er lief auf den Zauntritt zu, der sich in der gegenüberliegenden Seite der Hecke befand, und setzte hinüber, wobei er die wacklige obere Latte mit einer Hand fasste. Er landete auf der anderen Seite auf einem stillen Feldweg, der von tiefen Wagenspuren gefurcht und von Bäumen gesäumt war, die über ihm ein dichtes Laubdach bildeten. Da die Sonne jetzt untergegangen war, war es unter den Zweigen fast dunkel, und nach beiden Seiten endete der Weg nach wenigen Metern in undurchdringlichen Schatten.
Simon schaute wie wild nach rechts und links, drückte das Manuskript an sich und fühlte, dass seine Hände schweißnass waren. In welcher Richtung ging es zum
Grauen Haus?
Er konnte auch die See nicht mehr hören.
Er musste sich blindlings entscheiden, wandte sich nach rechts und lief den Weg entlang. Hinter sich hörte er das Aufschlagen der schweren Schuhe, als der Junge über den Zauntritt kletterte. Leichtfüßig sprang Simon von einer Seite des Weges zur andern, um die tiefen Wagenspuren zu vermeiden. Nach jeder Biegung sah er eine neue Wegstrecke vor sich, der düstere Tunnel aus Laubwerk und Böschung schien sich endlos weiterzuwinden, ohne dass er eine Toreinfahrt oder einen Weg zu einer anderen Wiese gesehen hätte.
Hinter sich hörte er die schweren Tritte des Jungen auf dem harten, trockenen Lehm des Weges.
Der Junge schrie jetzt nicht mehr, sondern stampfte in grimmigem Schweigen dahin. Simon spürte, wie ihn wieder Entsetzen überkommen wollte, er lief noch angestrengter in dem Verlangen, aus diesem düsteren Hohlweg ins Freie zu kommen.
Als er die nächste Biegung umrundet hatte, sah er den Himmel, der ihm nach der Düsternis des Weges hell vorkam; in wenigen Augenblicken war er im Freien und lief jetzt auf einer befestigten Straße an stillen Mauern und Bäumen vorbei. Wieder bog er automatisch, ohne Zeit zum Nachdenken, in eine Seitenstraße ein, und die Gummisohlen seiner Turnschuhe trommelten leise die verlassene Straße
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