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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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friedlich in ihren Betten schlafen konnten. Und, ja, sie wollte auch das Adrenalin und die Gefahr. Sie wollte, um es mit einem Wort zu sagen, wieder richtig leben.
    Aber sie wusste genau, was Cohen zu all dem sagen würde, wenn sie ihm davon erzählte. Was sie auch tun würde. Früher oder später.
    Sie wusste allerdings nicht, was dann aus ihrer Beziehung werden würde.
    Sie sah Ash in die Augen. Die andere Frau beobachtete sie aufmerksam wie eine Katze einen Singvogel, der sich ihren Klauen nähert.
    »Sehr poetisch.« Lis Stimme klang fester, als sie erwartet hatte. »Bietet mir Helen nach einer Vorspeise aus abgegriffenen Klischees auch ein Hauptgericht an?«
    »Sie lässt ausrichten, dass auf ihrem Schreibtisch ein Entwurf für eine Anordnung liegt, die es individuell überprüften genetischen Konstrukten erlaubt, als freie Mitarbeiter für den Sicherheitsrat tätig zu werden. Es soll ganz diskret von der Verwaltung beschlossen werden. Ohne eine Abstimmung im Generalrat. Aber das Ergebnis wäre dasselbe: Sie wären wieder eine Friedenssoldatin, natürlich ohne offizielle Position, aber sonst mit allen Befugnissen. Allen. Helen will alles für Sie erledigen. Sie brauchen nur zu nicken und uns Bescheid zu geben, dass Sie zurückkommen wollen.«

    »Und Cohen?«, fragte Li. »Hat Nguyen für ihn auch ein paar Pantoffeln am Feuer vorgewärmt?«
    Ash zuckte die Achseln. »Ich kann mir schwer vorstellen, dass Sie wirklich so glücklich mit ihm sind. Wenn es ein Er ist. Ich meine … was sind Sie denn eigentlich? Seine Geliebte? Seine Leibwächterin? Sein Haustier? «
    Aber Li konnte diese Frage nicht beantworten, obwohl sie sich dasselbe in den letzten drei Jahren auch immer wieder gefragt hatte.
    »Im Ernst«, hakte Ash nach. »Was für ein Gefühl ist das, wenn man … wenn man Teil davon ist?«
    Li zuckte die Achseln. Es war eine Untertreibung zu behaupten, dass ihr die Worte fehlten, um die Drehungen und Wendungen und Myriaden Widersprüche eines Lebens über das Intraface zu beschreiben. Und welche Worte sie sich im Laufe der letzten drei Jahre auch zurechtgelegt haben mochte, sie waren doch längst wertlos geworden angesichts des krankhaften Interesses an den kleinsten Details aus Cohens Liebes- und auch sonstigem Leben, das alle Spinvideozuschauer im Ring und darüber hinaus zu teilen schienen.
    »Er ist nicht bloß eine Person.« Wollte sie sich ernsthaft mit Ash über etwas unterhalten, worüber sie noch nie mit jemandem gesprochen hatte, nicht einmal mit Cohen selbst? Vielleicht war es die schiere Erleichterung, dass sie es hier mit jemandem zu tun hatte, der einem nicht in den Kopf greifen und die Gedanken herausreißen konnte, bevor man entschieden hatte, ob man sie teilen wollte oder nicht. »Er ist eine Vielzahl von Person. Und … man tut gern so, als ob es wirklich nur diese eine identifizierbare, dauerhafte Person gäbe. So wie man sich auch gern einredet, dass diese Person sich nicht verändert, wenn sie ein weiteres Netzwerk oder einen autonomen Agenten in sich eingliedert. Und nach einer gewissen Zeit fängt man an, sich selbst infrage zu stellen. Sich zu fragen, ob man eine Person oder viele ist. Oder man
jemals wirklich gewusst hat, wer diese Person war, und ob es wirklich für jeden so einfach ist.«
    »Hört sich furchtbar an.«
    »Nein. Die meiste Zeit jedenfalls nicht. Aber manchmal hat man doch Bedenken. Manchmal glaube ich, dass ich mich zu einer neuen Spezies entwickele. Als … als gäbe es da irgendwo eine Grenze, wo posthumane Wesen sich so weit vom Menschen entfernt haben, dass die einen neuen Namen brauchen.« Und sie war sich nicht sicher, ob sie die erste Person sein wollte, die diese Grenze überqueren würde.
    Während sie sich unterhalten hatten, war die Nacht hereingebrochen, und in einer Synagoge in der Nähe würde bereits der Schofar geblasen. Himmel, was für ein schauderhafter Lärm! Zehn Tage davon würden ausreichen, um Li halb in den Wahnsinn zu treiben.
    »Vielleicht wären die nächsten zehn Tage eine gute Gelegenheit, ein wenig Arithmetik der Seele zu betreiben«, schlug Ash vor.
    »Den Polykonfessionellen zufolge«, bemerkte Li, »habe ich keine Seele.«
    Ash zuckte die Achseln und ging durchs Zimmer, sammelte verstreutes Spielzeug ein und warf es in einen Container in der Ecke. »Halten Sie die Polykonfessionellen nicht für so primitiv, Li.« Ihre Stimme klang seltsam gedämpft. »Niemand ist so primitiv.«
    Ash drehte sich ihr zu, und ihr ernster Gesichtsausdruck

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