Lichtjagd
unsere Entscheidungen Maschinen aus Metall anvertrauen oder jenen Maschinen aus Fleisch und Blut, die uns als Büros, große Laboratorien, Armeen und Firmen begegnen, werden wir nie die richtigen Antworten auf unsere Fragen bekommen, solang wir nicht die richtigen Fragen stellen. Die Affenpfote aus Haut und Knochen ist ebenso tödlich wie etwas, das aus Stahl oder Eisen geschaffen wurde … Es ist fünf vor zwölf, und die Wahl zwischen Gut und Böse klopft an unsere Tür.
Norbert Wiener (1964)
N ach dem Verhör durch Turner erinnerte sich Arkady nur noch daran, dass er sich übergeben hatte. »Erzählst du’s mir noch mal?«, fragte er Osnat im Laufe der nächsten Tage und Nächte immer wieder.
Und sie wiederholte immer wieder – mit einer Geduld, die gar nicht zu ihrem Charakter passte und etwas Rührendes hatte –, wie sie nach Tel Aviv geflogen und auf dem Dach der Firmenzentrale von GolaniTech in einem Forschungspark unweit des naturwissenschaftlichen Campus der Universität gelandet waren. Erinnerte er sich denn nicht an den Rasen? Oder an die (in seinen Worten) »kleinen Rohre, die aus dem Boden ragten«, welche Rasensprenger genannt wurden und mit deren Hilfe die Israelis jede Nacht Unmengen an Wasser vergeudeten?
Ash hatte sie draußen persönlich empfangen. Sie war sehr nett, sehr höflich gewesen. Sie hatte sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigt und hatte vor möglichen Nebenwirkungen gewarnt, die aber geringfügig ausfallen sollten. Und dann hatte sie ihn Turner übergeben.
Arkady erinnerte sich an nichts davon.
»Einige von diesen Wahrheitsdrogen beeinträchtigen das Gedächtnis. Angeblich macht das Gehirn dicht, um sich selbst zu schützen, so wie es nach einem schweren Schlag gegen den Kopf geschieht. Aber damit ist es nicht zu vergleichen. Entweder ist an deiner Biochemie mehr herumgebastelt worden, als es bei einem durchschnittlichen UN-Konstrukt der Fall ist, oder die Manipulationen sind mit einer früheren Konditionierung in Konflikt geraten.« Sie sah ihn düster an. »Das scheint Turner zu denken. Und es hat ihn
ziemlich auf die Palme gebracht. Er wollte wissen, was Korchow mit dir angestellt hat und warum.«
»Habe ich es gesagt?«
Osnat schnaubte. »Du warst wie ein lebender Toter. Wenn Korchow dich so präparieren wollte, dass du auch unter Drogeneinfluss nicht reden kannst, hat er wirklich ganze Arbeit geleistet. Vielleicht zu gute Arbeit. Es liegt nicht in deinem Interesse, dass du gegen Drogen resistent bist, Arkady. Nicht in einer Welt, in der sich so viele bösartige Menschen herumtreiben.«
Erklärungen dieser Art waren ein fester Bestandteil von Osnats neuer Einstellung gegenüber Arkady, die im Grunde nur auf eines hinauslief: dass er dringend jemanden brauchte, der ihn ernsthaft und intensiv bemutterte, ob es ihm gefiel oder nicht.
Er wusste, dass es nichts zu bedeuten hatte. Er wusste, dass Osnat und Mosche ihm etwas vorspielten, die eine den guten, der andere den bösen Polizisten spielte. Aber trotzdem funktionierte es. Und er konnte nichts dagegen tun. In Ermangelung einer Alternative war selbst eine Freundschaft, die auf Lügen aufbaute, besser als Einsamkeit.
Und in der Zwischenzeit erweiterte und vertiefte sich Arkadys Gefühl der Isolation. Als jemand, der in der engmaschigen Welt der Syndikate aufgewachsen war, hatte er niemals mit Einsamkeit klarkommen müssen. Mehrere Tage konnten vergehen, in denen er das Gefühl hatte, nicht mehr mit der Welt lebender, denkender, fühlender Wesen außerhalb seiner Gefängniszelle in Kontakt zu stehen, so als sei seine Haut tausende Kilometer weit und als betrachte er die anderen über eine Grüne Grenze des Herzens hinweg, die keine Berührung, keine Worte, keine Gefühl durchdringen konnten.
»Also, Arkady. Beantworte mir bitte eine persönliche Frage.«
Sie saßen in Arkadys kleiner Zelle über den Speiseresten auf den beiden Tabletts, die Osnat von dort geholt hatte, wo
auch immer das Essen zubereitet wurde. Osnat hatte sich angewöhnt, an den meisten Tagen mindestens einmal mit ihm gemeinsam zu essen. Auch was das anging, wusste Arkady ganz genau, dass es Teil eines kalkulierten Plans war, um sein Vertrauen zu gewinnen. Und auch das war unwichtig; es funktionierte trotzdem. Er war zu einsam, um sich dagegen zu stemmen.
»Diese Spinvideos, die in den Syndikaten gezeigt werden. Eins hat mich vor ein paar Monaten wirklich fasziniert, weiß Gott, wieso. Die Zeit der grausamen Wunder. «
»Du hast Die Zeit der
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