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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Absichten antworten. Und in letzter Zeit scheinen all meine guten Absichten dazu zu führen, dass Menschen umgebracht werden.«
     
    »Ich kann nicht das gemästete Kalb schlachten«, sagte Gavi zu Arkady, »aber ich kann eine Ziege oder ein Huhn zur Auswahl anbieten. Hast du jemals eine Ziege gesehen? Nein? Dann begleite mich. Du darfst dich auf deine erste Begegnung mit einer überlegenen Lebensform freuen.«
    Die kleine Gruppe schlenderte die Hügel hinunter und genoss dabei die letzte abflauende Wärme der Abendsonne. Arkady hatte Schwierigkeiten, das lebende, atmende Wesen Gavi mit dem Verräter in Einklang zu bringen, als den Osnat ihn beschrieben hatte. Sogar für Osnat selbst schien es nicht einfach zu sein, den Kontrast zu überbrücken.
    Gavi schien Arkady dagegen auf ganz natürliche Weise zugeneigt zu sein, und was als ein Gruppenunternehmen begonnen hat, war zu einer privaten Führung durch Gavis kleines Königreich geworden. Arkady wusste, dass die scheinbare
Lockerheit sorgfältig kalkuliert sein musste, was aber die angenehmen Gefühle nicht milderte, die sich einstellten, wenn Gavi den Kopf beugte, um zuzuhören, oder seine eindringlich ernsten Augen auf ihn richtete.
    Es war eher diese Intensität als irgendeine äußerliche Ähnlichkeit, die Arkady so sehr an Arkasha erinnerte. Gavi war viel beherrschter und feinsinniger als Arkasha. Seine Feuer schwelten hinter einer Fassade aus selbstironischem Humor, Aber wenn er ihn ansah, hatte Arkady trotzdem denselben Eindruck wie bei Arkasha: dass er lebendiger und weniger geschützt war, als einem Menschen gut tat.
    Die Ziegen hatten Namen. Gavi stellte eine nach der anderen förmlich vor, als ob er Arkady mit einer steifen Runde von gealterten Gesellschaftsdamen bekannt machte. Außer Menschen, Hunden und Katzen hatte Arkady noch niemals ein Säugetier aus der Nähe gesehen. Er betrachtete ihre geometrisch perfekten Hufe, begegnete dem abschätzigen Blick ihrer goldenen Augen. »Sie sind perfekt«, sagte er. »Genau wie Ameisen perfekt sind.«
    »Ja, ich glaube schon.« Gavi bückte sich, um eine der selbstbewussteren Ziegen hinter den dreifarbigen Ohren zu kraulen. »In dieser Gegend gab es früher auch wilde Ziegen, kannst du dir das vorstellen? Und Ghizlaan . Wie nennt man Ghazaal in Ihrer Sprache? Oh. Na sehen Sie. Ich nehme an, dass sie wirklich von hier stammen.« Er klang wehmütig. »Ich wäre gern einer Gazelle begegnet.«
    »Vielleicht lernen wir immer noch, ohne all die anderen Spezies zu leben, die gemeinsam mit uns die Erde bewohnt haben«, sagte Arkady. Er machte eine Pause und hatte Mühe, die richtigen Worte für eine Idee zu finden, die wenn auch nicht ganz neu, doch zumindest für ihn neu war. »Ich denke oft, dass wir – die Syndikate, meine ich – sich entwickelt haben, weil Menschen aus eigener Schuld so allein im Universum sind, dass die einzige Möglichkeit, wieder irgendwohin zu gehören, darin besteht, zueinander zu gehören.«

    Gavi warf ihm einen scharfen, anerkennenden Blick zu, der ihn schmerzhaft an seine ersten Gespräche mit Arkasha erinnerte. »Das gefällt mir«, sagte er, nachdem er einen Moment überlegt hatte. »So habe ich es noch nie betrachtet. Ich muss ein bisschen darüber nachdenken. Danke.«
    Und so ging es weiter. Als sie schließlich die Ziegen und die Hühner (ein weiteres Wunder!) gefüttert hatten und mit Dibbuk, die um sie herumtanzte wie ein Elektron um einen Atomkern, am Einfassungszaun entlanggingen, stand Arkady bereits völlig in Gavis Bann.
    Hin und wieder wurde er für einen Moment nüchtern – wenn Gavi ihm gerade nichts über das verborgene Leben von Ziegen und Hühnern und Schäferhunden erzählte und er ihm nichts von Ameisen – und dachte: Warum erzähle ich einem Wildfremden diese Dinge?
    Aber es nützte nichts. Vorsicht und Misstrauen waren hohl verglichen mit Gavis Fragen, Gavis Faszination, Gavis Enthusiasmus, Gavis Wissen und seiner entschlossenen Arglosigkeit.
     
    »Also, Arkady, Cohen und einige andere Leute, die Sie nicht kennen, haben mich gebeten, mit Ihnen über Novalis zu sprechen. Vor allem darüber, was mit Bella geschehen ist. Verstehen Sie, warum wir so an ihr interessiert sind?«
    »Ich glaube schon.«
    »Gut. Gibt es etwas, das Sie nicht verstehen? Eine Frage, die Sie gern stellen würden? Etwas, das Ihnen Sorgen macht? Etwas, wobei ich Ihnen helfen oder das ich Ihnen erklären kann?« Gavi hatte seinen Charme auf Eis gelegt, erkannte Arkady. Im Moment war er ganz der

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